Offener Brief

An  P. Jon Sobrino SJ,  San Salvador

Nachrichtlich an:
Papst Benedikt XVI., Rom
William Joseph Kardinal Levada, Glaubenskongregation, Rom

 

Sehr geehrter Pater Jon Sobrino,

Christinnen und Christen aller Konfessionen und viele Bürgerinnen und Bürger in Deutschland, Österreich der Schweiz und Europa haben mit Betroffenheit und Befremden zur Kenntnis genommen, dass Ihr großes Engagement für die Armen und mit den Armen in Lehre und Praxis durch eine Maßregelung der Vatikanischen Glaubenskongregation angegriffen wird. Sie, Pater Jon Sobrino, haben stets Jesus Christus im Leiden der Armen gesehen und sind Ihm gefolgt. Als herausragender Befreiungstheologe in Lateinamerika haben Sie Christologie in heutiger Zeit aus der Sicht der Ausgegrenzten und Marginalisierten formuliert. Ihr Einsatz für eine Kirche, die die Option für die Armen mit Entschiedenheit lebt, sowie ihr persönliches Zeugnis, waren und sind für uns beeindruckend, beispielhaft und ermutigend. Wir schätzen Sie und Ihre klare Option für die Armen, die sie mit großer Entschiedenheit vertreten, sehr hoch. Es macht uns betroffen, dass durch die Maßregelung die Opfer denunziert und die Täter sich in ihrem Verhalten bestätigt fühlen dürfen. In diesen schmerzlichen Momenten, die Sie derzeit zweifellos durchleben, wollen wir unsere Solidarität mit Ihnen persönlich und mit Ihrer Theologie öffentlich machen und unsere Anerkennung für Ihr beispielhaftes Leben zum Ausdruck bringen. Wir stehen an Ihrer Seite.


 
Name                                                                      Wohnort                                                          Unterschrift                           Konfession

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Dr. theol. Willi Knecht, Schlesienweg 99, D 89075 Ulm, Tel: 0731/267905; E-Mail: willi@knecht-ulm.de               Rückgabe der Unterschriftslisten bis 10. Nov. 2007.

 

 

 

“Solidarität mit einer Kirche der Armen - Zur Theologie von Jon Sobrino“

 

Referent: Dr. theol. Willi Knecht

 

 

Am 14. März 2007 ermahnte die römische Glaubenskongregation den weltbekannten Theologen Jon Sobrino aus El Salvador. Sie wirft ihm vor, wesentliche Elemente der kath. Glaubenslehre unzureichend oder verfälscht darzustellen. So würde er z.B. die Göttlichkeit Jesu Christi zugunsten der Menschlichkeit Jesu Christi vernachlässigen. Sobrino hat mit seinem Buch „Christus der Befreier“ (1991) ein Standardwerk der Theologie geschrieben. Kein renommierter Theologe hat je darin eine „Irrlehre“ entdeckt, im Gegenteil: Selbst Bischöfe und Kardinäle aus Lateinamerika haben sein Werk als Weg weisend bezeichnet. Sobrino legt aus der Sicht der Ausgegrenzten den Glauben an Jesus den Christen für die Menschen von heute aus. Sein Eintreten für eine „Kirche der Armen“ (Johannes XXIII., 1962) auf der Seite des ermordeten Erzbischofs Oscar Romero hat ihn zu einer weltweit beachteten Stimme der Kirche Lateinamerikas werden lassen. Mit seiner Ermahnung werden alle diejenigen verwarnt, die für eine gerechtere Welt eintreten und in der Tat glauben, dass mit Jesus Christus die Herrschaft Gottes begonnen hat.

 

Papst Benedikt XVI. nimmt für sich in Anspruch, dass er allein das Konzil authentisch zu interpretieren vermag. Doch die richtige (authentische) Interpretation des Konzils erweist sich in der Praxis als ein mehr an „Fülle des Lebens“, an Gerechtigkeit und an Freiheit besonders für die, denen dies bisher vorenthalten wurde. Aber diese Praxis, inkarniert und ausgehend von den Freuden und Hoffnungen, den Sorgen und Ängsten der Armen, wird von Rom zumindest ignoriert. Letztlich geht es bei diesem Streit um die richtige Auslegung der Botschaft Jesu Christi und von welchem realen Kontext und Standort aus man dies tut. Daran muss sich die Kirche und jeder Christ messen lassen. Es geht hier um das Selbstverständnis der Kirche als Gemeinschaft aller Gläubigen. So gibt es in Lateinamerika immer mehr Bischöfe, die das Konzil offen ablehnen, sich dabei auf  den Papst (zu Unrecht?) berufen und offensichtlich jeden beliebigen theologischen Nonsens verbreiten dürfen. Gleichzeitig werden Priester und Ordensleute vertrieben, weil sie auf der Seite und inmitten der Armen die Botschaft Jesu Christi von der beginnenden Herrschaft Gottes verkünden. Die Folge: das Volk Gottes, die Gemeinschaft derer, die an Jesu den Christus glauben, wird im Stich gelassen und noch mehr zum Spielball wirtschaftlicher und machtpolitischer Interessen.

 

Unter den vielen Stimmen die Erklärung der Franziskaner/innen aller deutschsprachigen Ordensprovinzen: “Sie, Pater Jon Sobrino, haben stets Jesus Christus im Leiden der Armen gesehen und sind Ihm gefolgt. Als herausragender Befreiungstheologe in Lateinamerika haben Sie Christologie in heutiger Zeit aus der Sicht der Ausgegrenzten und Marginalisierten formuliert. Ihr Einsatz für eine Kirche, die die Option für die Armen mit Entschiedenheit lebt, sowie ihr persönliches Zeugnis, waren und sind für uns beeindruckend, beispielhaft und ermutigend. Wir stehen an Ihrer Seite. Wir, franziskanische Schwestern und Brüder aus Österreich, Deutschland und der Schweiz, schätzen Sie und Ihre klare Option für die Armen, die sie mit großer Entschiedenheit leben, sehr hoch”.

Diesen Fragen soll auf einer Veranstaltung der Kath. Gesamtkirchengemeinde Ulm nachgegangen werden. Damit verbunden sind eine Unterschriftenaktion und ein Brief an Papst Benedikt XVI.

 

 

Zum Referenten:

Zuletzt wiss. Mitarbeiter am Lehrstuhl für Fundamentaltheologie in Würzburg; seit 30 Jahren eng mit der Kirche in Peru verbunden, konkrete Erfahrungen einer befreienden Praxis als Mitarbeiter des Bischofs in Basisgemeinschaften (Diözese Cajamarca, gilt als Ursprungsort einer „Kirche der Befreiung“); Aufbau von Gemeindepartnerschaften, bis heute enger Kontakt zu kirchlichen Basisgruppen in Peru; Studien über die Kirche der Armen und Gemeindepartnerschaften; Promotion über die „Herausforderung einer Option für die Armen“ und verschiedene Veröffentlichungen in theol. Zeitschriften und Büchern. Mitglied in den Gremien der Kirchengemeinde, der Gesamtkirchengemeinde und Dekanats.

 

 

 

Erweitertes Manuskript des Vortrags (am 7. Mai 2007 in Ulm)

 

 

I. Einleitung und Kontext

 

Einführung: Jes 53, 3-11: Der Leidende Gottesknecht steht für das Leidende Volk in Lateinamerika….

 

Mit dieser Bibelstelle (und es gäbe viele andere) wird der Standort deutlich, von dem aus ich diesen Abend mit Ihnen gestalten möchte. Es ist der Standort nicht nur auf der Seite der Armen, sondern aus der Mitte der Armen heraus formuliert. Im Konflikt Rom - Sobrino geht es um (völlig) verschiedene Standorte innerhalb der Einen kath. Kirche. Dass es verschiedene Standorte, d.h. auch verschiedene Zugänge zu Jesus Christus gibt, ist unbestritten. Jeder von uns ist auf irgendeine Weise konditioniert. Was ich heute abend möchte ist, den Standort der Armen Ihnen vielleicht etwas vertrauter zu machen und mit deren Augen auf das zu sehen, was innerhalb der Kirche und in der Welt generell passiert (z.B. Globalisierung). Wie unterschiedlich man sehen kann, wird schon in der Geburtsgeschichte Jesu deutlich: den Hirten auf dem Felde öffnete sich der Himmel, sie hörten zuerst die Frohe Botschaft von der Geburt des Messias mitten unter ihnen; sie fanden zu Jesus in der Krippe, weil ihr Horizont aufgebrochen wurde.  Die Schriftgelehrten in Jerusalem, geblendet von ihrem eigenen Licht, hörten und sahen nichts. Deswegen spreche ich öfters von den „Hirten auf dem Felde“, den Campesinos, den verachteten Indios und ich spreche öfters von der Diözese Cajamarca, in der diese „Indios“ erfahren haben, was die Menschwerdung Gottes mitten unter ihnen für die bedeutet.

 

Am Beispiel der Kirche von Cajamarca kann man exemplarisch sehen, was das Konzil, vor allem aber die Botschaft von der Menschwerdung Gottes und dem beginnenden Reich Gottes bei den Armen und Ausgestoßenen bewirkt hat. Die richtige (authentische) Interpretation des Konzils erweist sich in der Praxis als ein mehr an „Fülle des Lebens“, an Gerechtigkeit und an Freiheit besonders für die, denen dies bisher vorenthalten wurde. Die Diözese Cajamarca gilt unter Kirchenhistorikern als eine der Diözesen, in der am besten der Geist des Konzils verwirklicht wurde - es entstand dort schon vor der Theologie der Befreiung eine befreiende Praxis, aus der heraus die Theologie der Befreiung entstanden ist. So hat Gustavo Gutiérrez dort erfahren, was konkret die Option für die Armen bedeutet. Motor der Entwicklung in der Diözese Cajamarca war Bischof José Dammert Bellido, Bischof in Cajamarca von 1962 - 1992.  (Näheres in http://www.cajamarca.de/download/dammert.pdf - zur befreienden Praxis in Cajamarca,  http://www.cajamarca.de/theol/Dammert-Ulm.pdf; u.  http://www.cajamarca.de/download/medellin.pdf)

 

Ähnliches geschah dann auch in anderen Ländern Amerikas, z.B. in El Salvador. Einer dieser Priester, der mitten unter den Armen lebte und mit ihnen sich auf den Weg zu einer neuen Gemeinschaft machte, war Rutilio Grande, SJ. Weil er die Ungerechtigkeiten und den Terror der Staatsmacht als nicht vereinbar mit dem Kommen des Reiches Gottes ansah und sich mit den Armen zusammen für ein menschenwürdiges Leben einsetzte, wurde er ermordet, am 12. März 1977. Seine Ermordung war der Auslöser für die Bekehrung von Erzbischof  Oscar Romero. Genau 30 Jahre nach diesem Mord veröffentlicht  Rom eine Ermahnung, die den Mitstreiter von Oscar Romero und den Freund von Rutilio Grande, Jon Sobrino, ermahnt, seine „gefährlichen und irrigen“ Thesen zu widerrufen. Mit dieser Ermahnung werden alle Menschen, die sich im Namen Jesu und im tiefen Glauben an die Verheißungen Gottes auf den Weg gemacht haben, als Irrende bezeichnet, als Menschen auf dem Holzweg.

 

Zur Verantwortung des Papstes Johannes Paul II. im Bezug auf die  Ermordung von Erzbischof Oscar Romero, siehe in:  http://www.cajamarca.de/aktuell/romero-deutsch.pdf

 

 

II.  Zur Theologie (Christologie) von Jon Sobrino

 

Der Titel heißt im spanischen Original: Jesus Christus, der befreit (der frei macht). Das Werk könnte auch heißen: Jesus Christus, der Gekreuzigte. Es geht hier fundamental um die Spannung von Tod als „logische“ Folge eines bestimmten Lebens und Auferstehung. Aber dieser Tod am Kreuz war ja nicht irgendein Tod, Jesus wurde als Verbrecher, Unruhestifter, als Ketzer hingerichtet. Und das hatte und hat seine Gründe - wie noch zu sehen sein wird.  Die Theologie von Sobrino steht in der Spannung zwischen Kreuz und Auferstehung - zwischen dem unbegreiflichen Leid und der Überwindung von Leid. Dabei wird dieses Leid konkret benannt, vor allem werden die Ursachen für diesen millionenfachen vorgezogenen Tod von unschuldigen Kindern, Männern und Frauen genannt. Es ist die Sünde dieser Welt (Johannes, Paulus), die Menschen ums Leben bringt und es ist die Botschaft Jesu, die ein neues Leben, ein Leben in Fülle ermöglicht. Genauer: es ist die Mensch gewordene Liebe Gottes, der sich so bis zum Äußersten mit den Menschen solidarisiert und deshalb die Menschen von Tod und Sünde befreit. Dies wird als Befreiung bezeichnet, die sich als geschichtliche - nicht bloß transzendente oder metaphysische - Erfahrung  in der Nachfolge Jesu zeigt. Befreiung heißt, den Armen die Frohe Botschaft zu verkünden, dass ihr Leid sich in Freude wandeln wird, dass Lahme gehen, Blinde sehen, Taube hören und Zerschlagene aufgerichtet werden. Ob die Verkündigung dieser Botschaft sich im realen Leben für die Betroffenen auswirkt oder nicht, macht die Glaubwürdigkeit dieser Botschaft und deren Verkünder aus. Bloße Worte, die nichts verändern, oder im Gegenteil gar die bestehende Ungerechtigkeit rechtfertigen, haben dagegen nichts mit der Frohen Botschaft des Jesus von Nazareth zu tun.

 

Zum Aufbau des Buches: Im 1. Band steht der historische Jesus von Nazareth im Zentrum: das Wirken Jesu - seine Botschaft vom Reich Gottes - die neue Botschaft von Gott, dem Vater - Tod am Kreuz. Der 2. Band sollte dann den verkündeten Christus, den Christus des Glaubens, zum Thema haben. Sobrino: es gibt nicht die Christologie, keine Christologie kann komplett sein und alle Aspekte umfassen. Es wird auch immer verschiedene Zugänge geben (Kontext, individuell und gesellschaftlich), das ist schon im NT so angelegt.

 

Der Papst sagt dagegen, dass man für alle Zeiten und unabhängig vom jeweiligen Kontext (Kultur) bestimmen kann, was z.B. „Christus“ bedeutet. Er verwechselt damit die regionale, europäisch (griechisch, römisch, germanisch) ausgeformte Prägung des Christentums (Inkulturation einer vorderasiatischen Religion in Europa, einem inzwischen eher unbedeutenden Teil der Weltkirche) mit dem Gesamt der Kirche Jesu Christi.

 

Charakteristisch und im Unterschied zu bisherigen europäischen Christologien (Theologien) geht Sobrino wie andere Theologen der Befreiung von einer bewussten Option aus: von der Verheißung eines neuen Lebens besonders für diejenigen, denen ein Leben in Würde gewaltsam vorenthalten wird. Diese befreiende Dimension zeigt sich durchgängig in der Botschaft Jesu und in der Person des Jesus als Messias. Im Zentrum steht das Reich Gottes, das mit ihm beginnt. Wie im NT und auch den ersten Kirchenvätern steht hier die soteriologische Perspektive im Mittelpunkt. Der Titel „Jesus der Befreier“ gibt dem Messiastitel seine ursprüngliche Bedeutung zurück. Um dies besser zu verstehen, muss man von einer konkreten Realität ausgehen, sowohl zu Zeiten Jesu (Not des Volkes, Ausschluss ganzer Bevölkerungsschichten, der „Unreinen“, der „Anderen“ etc. und die entsprechenden Messiaserwartungen) als auch heute, z.B. El Salvador: Das Kreuz ist Realität, Märtyrer sind Realität, Auferstehung ist Realität. Das Leben und Leiden Jesu ist aktuell. An Christus glauben heißt, Jesus nachfolgen. Dieser Glaube ist konfliktiv, er drängt zur Entscheidung, er realisiert sich auf der Seite der Armen.

 

Option für die Armen - der entscheidende Grundbegriff (aus: Willi Knecht: “Die Kirche von Cajamarca - Die Herausforderung einer Option für die Armen).

Ausgangspunkt ist immer der Mensch - und zwar nicht der Mensch „an sich“, sondern der leidende, der unterdrückte Mensch, an den Rand gedrängt oder gar von der Vernichtung bedroht. Dieser Mensch hat ein konkretes Gesicht. Ausgangspunkt ist die Frage, wie man an einen Gott der Liebe glauben kann, wenn man nicht weiß, wie man den ständigen Hunger seiner Kinder stillen kann oder: wie kann man angesichts der real existierenden tödlichen Gewalt an den Gott des Lebens glauben? Diese Realität zu sehen ist eine Sache, und dies ist unerlässlich. Eine andere Sache aber ist, wie ich mich dieser Realität gegenüber verhalte, z.B. ob ich sie gleichgültig hinnehme oder sie als ein „zum Himmel schreiendes Unrecht“ entlarve und dagegen aufstehe. Das letztere kann ich erst aufgrund einer Option tun. Die Option für die Armen beinhaltet notwendigerweise eine Option für eine bestimmte Praxis. Diese geht von einer Analyse der Situation und deren Deutung aus. Die Armut wird zuerst verstanden als ein von Menschen verursachter Zustand, der fundamental der Würde des Menschen als Kind Gottes widerspricht und damit Gott selbst. Davon muss die Armut unterschieden werden, die von Nicht-Armen freiwillig aus Solidarität mit den Armen gewählt wird. „Konkret heißt arm sein: Hungers sterben, Analphabet sein, von den anderen ausgebeutet werden, dabei noch nicht einmal wissen, dass man ausgebeutet wird, ja sogar nicht ahnen, dass man Mensch ist“. Diese Feststellung muss aber gedeutet werden: „Arme gibt es, weil es Menschen gibt, die Opfer in der Hand anderer Menschen sind“. Und theologisch gedeutet: „Das Bestehen von Armut spiegelt einen Bruch in der Solidarität der Menschen untereinander und in ihrer Gemeinschaft mit Gott, Armut ist Ausdruck von Sünde, d.h. der Verneinung von Liebe. Deshalb ist sie unvereinbar mit der Herrschaft Gottes, die ein Reich der Liebe und der Gerechtigkeit inauguriert“. Dies führt zu einer konkreten Glaubenspraxis: existentielles Engagement gegen die Ursachen der Armut und gegen jede Form von Ungerechtigkeit und für die Überwindung der Abgründe zwischen den Menschen und Leben in einer Gemeinschaft, die ein Zeichen Gottes in dieser Welt ist. Die Propheten bezeichnen dies als den „wahren Gottesdienst“ (Amos 5, 21-27). Eine solche Option ist unmissverständlich. Sie ist nicht neutral, weil Gott nicht neutral ist, sondern Partei ergreift. Erst recht meint sie nicht, dass im Grunde auch die Reichen oder alle Menschen - spirituell - arm seien. Denn Jesus und die Propheten sprechen eindeutig von den Armen als Opfer der herrschenden Ungerechtigkeit. Die Reichen sind aber nicht ausgeschlossen. Annehmen der Botschaft Jesu bedeutet für sie Umkehr, eine Bekehrung zu den Armen. Wenn die Kirche von den Armen ausgeht, ist sie für alle Menschen da, denen die Fülle des Lebens bewusst, persönlich oder strukturell, vorenthalten wird. Das Zweite Vatikanische Konzil (ansatzweise) und dann vor allem Medellín haben wie die Propheten die Armen in den Mittelpunkt gestellt. Dies geschah um der Kirche selbst und um ihrer Botschaft willen. Option für die Armen bedeutet, den Kern der christlichen Botschaft zu erkennen, Jesus nachzufolgen und (für Nicht-Arme) Christus im Armen zu begegnen. Diese Erkenntnis ist ein Akt tiefer Spiritualität und gelebter Praxis.

 

Sobrino zählt verschiedene Christologien - Christusbilder - auf, die in der Geschichte dazu dienten, die Menschen zu manipulieren und zu beherrschen. Allen ist gemein, dass der historische Jesus eigentlich ohne Bedeutung ist. Stattdessen wird der überirdische Christus verkündet - a-historisch, a-sozial, nur abstrakt usw. Dies führt dann auch zu einer entsprechenden Praxis:  Sobrino erinnert an die Geschichte der Eroberung im Namen des Kreuzes mit seinen unsäglichen Folgen für die Völker Amerikas. 

 

Ein konkretes Beispiel dafür, welche Konsequenzen das jeweilige Christusbild besonders für die Armen hat, ist das Beispiel des Nachfolgers von Bischof Dammert, Bischof Simón als Bischof in Cajamarca von 1992 - 2004. Bischof Simón ließ aus allen Kirchen die Jesusdarstellungen entfernen (und auf den Müll werfen), die Jesus z.B. als Indio dargestellt haben, als (Mit-) Leidenden, in zerrissener Kleidung etc. Simón: „Christus so darzustellen ist eine Gotteslästerung“. Stattdessen ließ er Bilder aufhängen, die Christus als Himmlischen Herrscher darstellen, als strahlenden Helden und buchstäblich über den Wolken schwebend und - natürlich - mit europäischem Aussehen. Jesusdarstellungen der Zeugen Jehovas und anderer Sekten sehen ähnlich aus. Bischof Simón kann sich - mit Recht? - auf den Papst berufen, erst recht nun auf Benedikt XVI.

Auch das nächste Beispiel zeigt, wie eine entfremdete Theologie zu einer entfremdenden Praxis führt. Oder umgekehrt: ein auf den Kopf gestelltes Christentum im Interesse der Herrschenden wird durch eine entsprechend zurechtgezimmerte Theologie gerechtfertigt - mit fatalen Folgen für die Armen.

Bischof Simón und sein Verständnis einer Option für die Armen. Ich fragte ihn 1993 danach, wie er es mit der Option für die Armen zu halten gedenke. Er erklärte mir, dass sein Vorgänger, Bischof Dammert, zwar immer von dieser Option geredet, aber genau das Gegenteil gemacht habe. Da Dammert - laut Simón - nur „Politik betrieben und sich nur um soziale Aspekte gekümmert habe“, habe er die geistige Dimension des Christentums völlig vernachlässigt. Die Menschen hätten sogar das Beten verlernt und würden nicht einmal das Vater Unser kennen. Dadurch hätte man ihnen aber die Chance auf das Ewige Leben genommen und sie damit letztlich dem Tod und der Verdammnis überlassen. Er aber - Bischof Simón - würde nun dafür sorgen, dass die Armen wieder die Sakramente der Kirche empfangen können. Damit würde ihnen die Möglichkeit gegeben, das Ewige Leben in der Vollendung mit Gott zu erhalten. Wer würde also in Wirklichkeit mehr für das Heil der Armen tun, Bischof Dammert oder Bischof Simón?

 

Seit Medellín gilt aber als Auftrag der Kirche, aus der Botschaft Jesu Christi abgeleitet (laut Sobrino):

 

-         Alle Menschen aus Knechtschaft befreien (auch Reiche als Sklaven ihrer Habgier)

-         Armut und deren Ursachen sind konkret zu benennen (Analyse > Sündhafte Strukturen) und die Befreiung ist irdisch konkret zu benennen (Brot für alle, Menschenwürde, Rassismus …)

-         Deuten der Welt (Wirtschaft etc.) aus der Perspektive der Armen, weil Gott selbst sich arm machte

-         Gegenwart Christi vor allem in den Unterdrückten - Arme als Sakrament der Gegenwart Christi

 

Doch die Aussagen von Medellín werden heute von den meisten Bischöfen in LA nicht nur nicht beachtet, sondern - meist ohne wirkliche Kenntnis - verurteilt. 

 

Christus und die Kirche der Armen

 

Die Kirche ist der reale Ort für die Christologie wie für jede Theologie. Wir wissen nur etwas über Jesus, weil es danach die Kirche gab. Kirche und Lehramt haben nicht nur das Recht, sondern die Pflicht, Jesus Christus zu verkünden und eindeutig falsche Christusbilder und falsche Praktiken zu benennen (da hätte sie wahrhaft heute noch viel zu tun….). Andererseits gilt: die Kirche ist nicht der einzige Ort der Christuspräsenz, Christus ist nicht Eigentum der Kirche.

In der Kirche der Armen wird am besten deutlich (aber nicht exklusiv) was der Glaube an Christus bedeutet. Ihre zentrale christologische Aussage lautet: Im Kontext von Elend und Gewalt die Ankündigung eines Lebens in Fülle, der beginnenden Herrschaft Gottes; der Gott des Lebens überwindet die Mächte des Todes (die herrschenden Götzen). Dies ist konkret erfahrbar und gerade dadurch ein Zeichen der Offenbarung und der Gegenwart Gottes. Diese Erfahrung des Kreuzes und der Auferstehung Jesu kann für Menschen, die selbst nicht in einer Praxis der Befreiung stehen, ein notwendige Ergänzung und Bereicherung ihres Glaubens sein. Sind es doch die Armen, die zeigen, was Gott mit den Menschen vorhat. Dies gilt auch für die Mitglieder einer Glaubenskongregation und selbst für den Bischof von Rom. Damit ist kein Gegensatz gemeint, sondern - falls nötig - eine Ergänzung, eine Hilfe. Umgekehrt: auf die Erfahrungen einer Kirche der Armen, auf das gelebte Christuszeugnis von Menschen in der Nachfolge (bis zum Märtyrertod) zu verzichten, führt zu einer dramatischen Verarmung und Verkürzung des christlichen Glaubens und in dessen Folge zu einer leb- und geistlosen Kirche. 

 

Sobrino, Zitat S. 58: „Wenn die Theologie die Armen ernst nimmt, wirft man ihr vor, einer Ideologie zu erliegen und wenn sie die Armen ignoriert, wird ihr ernsthaftes theologisches Denken attestiert.“

 

Das Anliegen Sobrinos ist, die Bedeutung des historischen Jesus zu betonen, weil dessen konkretes Menschsein, seine Menschwerdung, sein schrecklicher Tod am Kreuz (er wurde zu Tode gefoltert) oft vernachlässigt wird und vielmehr immer noch (oder wieder) ein sehr abstraktes Christusbild vorherrscht (angefangen bei Bultmann etc. der „Christus des Kerygma“, europäische Christologien (- Theologie der Sieger, da Rechtfertigung europäischer Herrschaft?).

Hünermann, April 2007:  “Doch was will der Papst selbst? Nach eigenem Bekunden möchte er den Jesus der Evangelien als den wirklichen Jesus, als den „historischen Jesus im eigentlichen Sinn“ darstellen. Dazu trifft er aus dem reichen Schatz der biblischen Texte eine Auswahl und lässt eine beeindruckende Abfolge von Bildern Jesu entstehen. Auffallend ist allerdings, dass er die Praxis Jesu - seine Zuwendung zu den Armen, den Kindern, den Kranken, den Sündern - unerwähnt lässt. Dem entspricht freilich die Zielrichtung des gesamten Buches: Es geht dem Papst wesentlich um die Göttlichkeit Jesu”.

 

Das Konzil aber sagt, dass wir nur über und durch den historischen Jesus von Nazareth wissen, wer und wie Gott ist  - sein Wille, Verhältnis der Menschen zu ihm und untereinander. Und wie und was der Mensch ist - d.h. was seine Berufung ist - wissen wir durch Jesus. Beides zusammen sind Grundlagen moderner Theologie (bes. von K. Rahner entwickelt) und des Konzils. Und die Geschichte Gottes mit den Menschen und umgekehrt wird dann und dort am deutlichsten, wo Not und Unterdrückung am größten sind (vom Exodus bis Lateinamerika heute).

Jesus ist die unüberbietbare Selbstoffenbarung Gottes. Dies wird geschichtlich - über konkrete Taten und Menschen - vermittelt. Inhalt der Botschaft Jesu ist das Reich Gottes. Die Offenbar einerseits ist einmalig (in Jesus), andererseits wird sie „fortgeschrieben“, ist dynamisch. In den entsprechenden Gleichnissen, Taten, Wundern, Heilungen geht es nie um „Gott an sich“ oder den „Menschen an sich“, sondern um einen Gott, der vergibt, der heilt, der verzeiht, der das Heil und Wohl der Menschen will. Die Adressaten sind jeweils ganz konkrete Menschen: Aussätzige, Verstoßene, Benachteiligte, Arme. Und Gott ist jemand, der rettet, der befreit, der eine Beziehung unter den Menschen und der Menschen mit Gott schafft. Er ist auch jemand - wie Jesus - der zürnt und verflucht, falls Menschen trotz allem nicht umkehren!

 

Als Beispiel: Streit über den Glauben Jesu: Thomas von Aquin: „Der Gegenstand des Glaubens ist etwas Göttliches, noch Ungeschautes… Da also Christus vom ersten Augenblick seiner Empfängnis an Gottes Wesen in seiner Fülle schaute, konnte ER den Glauben nicht haben“ (er glaubte nicht, er wusste ja bereits alles, allwissend). Ausgangspunkt einer solchen Überlegung, die nicht biblisch ist, ist die hypostatische Union. Diese Vorstellung lässt sich nicht nur nicht mit dem biblischen Jesus in Übereinstimmung bringen, sondern sie bedeutet, dass Jesus nicht in allem mit uns gleich sei, also nicht wirklich Mensch geworden ist. Diese scholastische Position schien bisher in der modernen Theologie überwunden, nun kommt sie aber wieder zurück - nicht als theologischer Diskussionsbeitrag, sondern qua absolutes Lehramt. Jesus wusste von Anfang an in all seiner Fülle von seiner Göttlichkeit - sagt die Notifikation.

 

Zeichen und Handlungen Jesu (im Rahmen seiner Botschaft vom Reich Gottes, Jesus als der Prophet)

 

Propheten: Anklage und Verkündigung - „Kehrt um - Reich Gottes ist mitten unter euch“. Die Handlungen Jesu sind sowohl Zeichen der Gegenwart Gottes (Zeichen - noch nicht die Fülle) als auch Verheißungen.

Dies ist keine Botschaft an Individuen, sondern die Transformation der Gesellschaft ist das (vorläufige) Ziel. Die gegenwärtige Realität wird als „Gottesferne“  denunziert, weil es so viele Arme und Ausgegrenzte gibt. Das zeigt sich vor allem in der Verurteilung Jesu (Gesetz, Gotteslästerung, Tempelreinigung). Gott will zuerst das Leben. Rechter Gottesdienst ist Dienst am Menschen, besonders dem Notleidenden. Die richtige Beziehung zu Gott zeigt sich in der richtigen Beziehung zum Nächsten (siehe Jesus).

Jesus ist eine Gefahr, weil er falsche Gottesbilder entlarvt, die der Rechtfertigung eigener Interessen dienen, die Herrschaft und Unterdrückung rechtfertigen. Der real existierende Tempel ist für Jesus das Symbol der Macht: Ökonomisch, er hat die Definitionshoheit über Gut und Böse (Gott); Kult und Opfer als Hauptsache, Heilsgewissheit durch Befolgen der Gesetze und des Kultes. Jesus warnt generell vor dem Reichtum, in doppelter Hinsicht: Existenz von Reichtum bei gleichzeitig wachsender Armut ist eine Beleidigung Gottes und des Menschen. Der Reichtum (genauer: die Gier und Habsucht) wird zum Götzen, um den sich alles dreht. Folge: Leben wird verhindert oder gar zerstört. Aber auch der Reiche verfehlt sein Leben, er hängt sein Herz an Schätze, die vergehen (Luther); es kommt zu einer „Verkommerzialisierung“ aller menschlichen Beziehungen, Egoismus wird als notwendige Eigenschaft im Konkurrenzkampf gefordert; er verfehlt den Nächsten (kann ihn noch nicht mal wahrnehmen) und er verfehlt Gott.

 

Exkurs: europäische Auseinandersetzung mit Atheismus: Existenz Gottes als phil. Problem und rein phil. Diskurs, als eigentliche Herausforderung; ohne jede wirtschaftl. pol., gesell. Konsequenz und erst recht keine Analyse und Deutung bestehender Wirklichkeiten (Götzen); keine Anfrage an die wirklich herrschenden Götzen. Beispiel Walter Kasper: Die historisch konkrete Bestimmung dessen, was verabsolutiert wird, fehlt (z. B. konkret die weltweit herrschende Wirtschaftsordnung, die sich für absolut hält). Er spricht von Atheismus, ohne die Opfer des herrschenden Götzendienstes auch nur zu erwähnen. Die Verehrung ganz konkreter Götzen führt aber zum millionenfachen Tod. Analyse und Interpretation der Globalisierung im neoliberalen Gewand ist unabdingbarer Teil der Theologie, weil Aufdecken von Götzendienst, Frage nach Ursachen für den millionenfachen Tod und auf diesem Hintergrund die Verkündigung des biblischen Gottes, wie er sich in Jesus offenbart hat und der das Leben all seiner Kinder will. Die Beschäftigung mit dem vorzeitigen Tod, dessen Ursachen, die Frage nach den Verursachern und den Opfern muss zum unverzichtbaren Bestandteil der Theologie werden. In der europäischen Theologie aber geschieht das bestenfalls ansatzweise.

 

Als weiteres Beispiel für eine konkrete Verwechslung dessen, was Politik bedeutet und was vor allem entweder Glaube in der Nachfolge Jesu oder Götzendienst bedeutet liefert wiederum exemplarisch die Praxis von Bischof  Simón in Cajamarca (2003):  Um Cajamarca herum liegen die profitabelsten Goldabbaustätten der Welt (siehe www.cajamarca.de - Goldabbau in Cajamarca). Davon betroffen sind vor allem die Campesinos. Deren Not ist nachweisbar seit dem Beginn der Bergwerktätigkeiten größer geworden. Als diese Campesinos wegen schwerer Eingriffe in ihre Landwirtschaft (z.B. wird ihnen buchstäblich das Wasser abgegraben) die Zufahrten der Minengesellschaft blockierten und forderten, mit Vertretern der Mine zu sprechen, riefen die Minenbesitzer den Bischof zu Hilfe. Dieser sagte den Campesinos, sie sollten nach Hause gehen, der Protest sei illegal und Christen dürften sich nicht in Politik einmischen. Als die Campesinos auf ihrem Protest beharrten, schlug ihnen der Bischof seine Vermittlung vor: eine Delegation der Campesinos solle sich morgen im Bischofshaus in der Stadt Cajamarca einfinden, er würde dafür sorgen, dass Vertreter der Mine ebenfalls kommen würden. Als sich die Campesinos darauf einließen und am nächsten Morgen mit einer Delegation (10) erschienen, waren die Vertreter der Mine nicht da, dafür aber der Staatsanwalt und die Polizei, die dann die anwesenden Campesinos verhafteten. Darauf zogen etwa 20.000 Campesino in die Stadt ein, einige ketteten sich an den Bischofspalast an und riefen: „Herr Bischof, an welchen Gott glaubst du - an den wahren Gott oder an das Geld der Goldmine“?

 

Eine Theologie, in der Gott nicht wirklich Mensch geworden ist, führt zu einer Menschen feindlichen Praxis. Und ein Bischof - und solche gibt es inzwischen in Peru sehr viele - der es vorzieht, sich mit den Reichen an einen Tisch zu setzen und deren Brot zu essen und gleichzeitig die Armen ausliefert, schließt sich selbst von der Kirche Jesu Christi aus; er ex-kommuniziert sich, weil er nicht mit den Armen kommuniziert (sondern sie anlügt), weil er nicht in Gemeinschaft mit ihnen lebt und glaubt und vor allem, weil er mit ihnen nicht das Brot bricht, sondern dazu beiträgt, dass den Armen das tägliche Brot genommen wird. Und was hat das alles mit der Notifikation zu tun? Wenn eine solche befreiende Praxis, wie bei Bischof Dammert, Bischof Oscar Romero, den Jesuiten in El Salvador und so vielen anderen, von Rom als Gefahr betrachtet wird, wenn alles getan wird, um mit Hilfe von Bischofsernennungen und lehramtlichen Verurteilungen die Kirche der Armen zu zerstören, dann müssen sich der Papst und seine Glaubenskongregation ebenfalls die Frage gefallen lassen: „An welchen Gold glaubst du?“ Und die Antwort auf diese Frage zeigt sich nicht im korrekten Zitieren der Konzilstexte aus dem 4. und 5. Jahrhundert, sondern darin, in welchem Maße den Armen die Frohe Botschaft verkündet wird. Und was dies wiederum konkret bedeutet und was es bewirkt, zeigt sich exemplarisch in Cajamarca bzw. im „Pilotprojekt“ von Bischof Dammert, in der Pfarrei Bambamarca (s.u.).

 

Kreuz und Tod

 

Das Kapitel von Kreuz und Tod beginnt mit der Bestimmung dessen, was Inkarnation und Menschwerdung Gottes bei den Campesinos bedeuten. Denn Menschwerdung, Leiden, Tod und Auferstehung bilden eine unzerstörbare Einheit. Ist Gott nicht wirklich Mensch geworden, gibt es auch keine Auferstehung für die Menschen. So gab es über 400 Jahre hinweg bei den Campesinos kein Weihnachten und kein Ostern. Das Weihnachtsfest war unbekannt und die Karwoche endete mit der Trauer um den gekreuzigten Jesus. Hier nun wieder ein Beispiel aus der Praxis, aus Bambamarca:

 

In Verbreitung der Guten Nachricht spielten die Bibel und die Tatsache, dass die Campesinos die Bibel nun selbst lesen konnten, eine entscheidende Rolle. Eigentlich eine banale Erkenntnis. Doch in Bambamarca hat diese Erkenntnis das Leben der Menschen verändert. Ältere Katecheten sprechen in diesem Zusammenhang von einer Bekehrung, die alle Bereiche des Lebens umfasste. „Seit diesem Augenblick begann ich die Bibel zu lesen und kennen zu lernen. Ich besuchte viele Kurse, bis nach Lima und die Arbeit als Katechet in allen ihren Dimensionen gefiel mir immer mehr. Meine Hauptaufgabe bestand darin, die Bibel mit meinen Brüdern, den Campesinos, zu lesen. Mein Auftrag lautete: die Gute Nachricht anzukündigen... Seit dem ersten Bibelkurs auf der Hazienda Chala, mit 60 zukünftigen Katecheten, habe ich viele neue Dinge kennen gelernt, ich habe Zusammenhänge verstanden, ich habe das Leben kennen gelernt, das menschliche Wesen, was es heißt, Person zu sein, was Familie bedeutet... Seit 1962 hat sich die Kirche verwandelt - man knüpfte am Traditionellen an, aber Schritt für Schritt entdeckten wir die Situation, in der wir lebten. Vor 1962 war die Kirche völlig anders, es gab nichts für uns“. Mit der Entdeckung der Bibel als eine „Frohe Botschaft für die Armen“, die den Beginn einer neuen Zeit verkündet, rückt sowohl das Leben und die Botschaft des Jesus von Nazareth in den Mittelpunkt, als auch dessen Verkündigung als Christus durch seine Jünger gemäß dem Zeugnis und der Praxis der ersten Christen. Jesus von Nazareth und der auferstandene Christus sind für die Campesinos eine untrennbare Einheit, die nicht zur Disposition steht. Die Geburt Jesu „draußen vor den Toren der Stadt“ unter den Indios und nicht unter den Weißen in der Stadt oder in Europa, sondern in einer Hütte und die weiteren Umstände der Geburtsgeschichten werden für die Campesinos zur aktuellen Botschaft: Jesus ist mitten unter uns geboren, in unser Elend und unsere Ausweglosigkeit hinein. Doch dieser Jesus ist für sie nicht irgendwer, er ist „Gott unter den Menschen“. Dies ist die eigentliche Entdeckung: dass Gott genau so ist, wie ihn Jesus durch seine Botschaft und sein Zeugnis gelebt hat.

Mit der Ankunft der neuen Pastoral hat die Situation der Ausgrenzung eine neue Sinndeutung erhalten: Jesus, Gott selbst, kam auch auf den Feldern von Bambamarca zur Welt. Er wuchs mit den Windeln aus Wolle auf, so wie sie unsere Kinder tragen; er rannte über die schlammigen Wege; er schwitzte, als er in den Mais- und Kartoffelfeldern arbeite; er ging in die Stadt hinunter, um die Leute zu trösten, die im Tausch ihrer Produkte immer betrogen wurden. Der Campesino Jesus sang und tanzte auch in froher Runde auf den Festen und Geburtstagsfeiern mit seinem Volk. Und er wurde traurig, als er von den Problemen hörte, die die Arbeit mit sich brachte. Aber vor allem teilte er die Hoffnung auf eine bessere Zukunft für die Campesinos von Bambamarca... Jesus hat sich so sehr mit seinen Leuten identifiziert, ist eins und Fleisch geworden mit ihnen, dass die Polizisten, als sie ihn gefangen nehmen wollten, ihn nicht von seinen Freunden unterscheiden konnten. Daher musste ihnen der Verräter ein Zeichen geben. Dieses Gefühl der Identifizierung hat alle, die an der Ausbildung dieser neuen Pastoral teilnahmen, überwältigt.” (Leonardo Herrera, Bambamarca). In diesem Bekenntnis ist das, was in der Theologie mit Inkarnation bezeichnet wird, auf eine authentische Weise ausgedrückt. Es ist die Menschwerdung Gottes inmitten der „Indios dieser Welt“, der misshandelten Kreatur und Schöpfung, die zusammen mit der sich daraus ergebenden Auferstehung das wesentlich und unterscheidend Christliche ausmacht - im Unterschied zu jeder anderen Religion. Dieses Einswerden Jesu mit seinen Leuten ist es, dass „diese Leute“ hat entdecken lassen, dass es Wege aus der Sklaverei gibt, weil der Gott des Lebens ihnen den Weg weist und sie führt.

Die Einführung des Weihnachtsfestes auf dem Land ist ein Ergebnis der neuen Pastoralarbeit. Im Glauben der Campesinos bedeutet dies, dass ihr Schicksal als Indios nicht naturgegeben und nicht von Gott gewollt ist, sondern dass der tödliche Kreislauf von Unterdrückung, Armut und Hoffnungslosigkeit durchbrochen wird. Auferstehung ist für sie eine „logische“ (hier: eine nicht mehr näher zu begründende Erfahrung) Konsequenz der Geburt Jesu als Sohn Gottes. Die Menschwerdung und Gegenwart Gottes sprengen notwendigerweise alle scheinbar unüberwindlichen Fesseln. Historisch gewachsene Gegebenheiten, wie Unterdrückung, Ungerechtigkeit und die Rolle der Religion, werden als solche erkannt und relativiert, d.h. sie werden entmythologisiert und nicht mehr als allmächtig und unveränderlich angesehen. Die Campesinos haben am eigenen Leib erfahren, dass über Jahrhunderte fest zementierte Zwänge überwunden werden können. Wenn der Gott des Lebens mitten unter den Menschen „wohnt“, dann ist auch die Zukunft offen und eine bessere Welt ist möglich. Wie aber Jesus selbst erfahren musste, so erfahren auch die Campesinos, dass sie auf diesem Weg verfolgt, verleumdet und eingesperrt werden. Doch weil der Weg Jesu nicht am Kreuz endete, sondern heute mitten unter ihnen lebt und sie begleitet, deswegen werden das Kreuz und der Tod nicht das letzte Wort behalten.. Das bedeutet für die Campesinos Auferstehung.

(aus: Willi Knecht: “Die Kirche von Cajamarca - Die Herausforderung einer Option für die Armen.)

 

Man braucht eine tiefe Spiritualität, um erahnen zu können, was die Menschwerdung Gottes bedeuten kann. Ein Blick auf die Menschen, die diese Menschwerdung konkret am eigenen Leib erfahren haben, kann uns helfen, neue Dimensionen unseres Glaubens und unseres Lebens zu entdecken. Das gleiche gilt für die Hingabe Jesu am Kreuz, sein Tod und seine Auferstehung.

Der Tod Jesu war praktisch vorprogrammiert. Er ist die logische (innerweltlich) Folge seiner radikalen Infragestellung der “Götzen dieser Welt” (Liebe oder Gesetz, Gott oder Mammon). Der Tod Jesu ist natürlich einerseits singulär (Messias), andererseits aber alltäglich und überzeitlich. Wer aufsteht gegen die Repräsentanten der herrschenden Ordnung ist eine Gefahr und wird beseitigt. Dies ist eine sehr aktuelle Botschaft. Schuld sind nicht einige Pharisäer oder Schriftgelehrte (oder einzelne Konzernbosse etc.), sondern das Gesetz an sich, die scheinbar unabänderliche Funktionsweise von Macht- und Herrschaftsstrukturen, das Gesetz dieser Welt (Johannes, Paulus). Jesus war sich dessen natürlich bewusst, er kannte das Schicksal der Propheten. Und trotzdem ging er nach Jerusalem - in die Höhle des Löwen, ins Zentrum der Macht. Er ging seinen Weg zu Ende in radikaler Treue zu Gott und als Dienst an den Menschen. Sich im Geiste (in der Sendung) Gottes auf diese Welt einzulassen, bedeutet Todesgefahr. Aber nur so ist die Sünde dieser Welt zu überwinden. Gott kam in diese Welt, so wie sie ist, aber nicht um sie zu rechtfertigen, so wie sie ist, sondern um sie zu retten. Und diese Befreiung aus diesem scheinbar ewigen Kreislauf von Gewalt und Elend ist möglich. Das zeigt sich - heute wie zur Zeit Jesu - besonders an den Armen, denen die Frohe Botschaft verkündet wird und die selig gepriesen werden, nicht weil sie arm sind, sondern weil ihre Armut nun zu Ende geht und eine neue, andere Zeit beginnt.

 

Jesu radikale Hingabe und Konsequenz macht den Weg frei, diese Welt menschlicher bzw. dem Willen Gottes ähnlicher werden zu lassen. Die “Sünde dieser Welt” wird überwunden durch Liebe, in der Hingabe bis zum Tod. Sünde ist all das, was die Menschen ums Leben bringt, was Opfer schafft. Konkret: Indios leiden unter Hunger, Diskriminierung etc. Mit Jesus in ihrer Mitte werden sie zu Menschen, zu einer Gemeinschaft mit neuer Perspektive, die schon jetzt konkret erfahrbar ist. Die Sünde wird dadurch überwunden, dass man die Sünde auf sich nimmt, bzw. sich ihrer bewusst wird. So ist Jesus für uns gestorben, er hat die Konsequenzen der Sünde (Gewalt, Tod) auf sich genommen und gerade dadurch ihre Macht gebrochen. Gott bekennt sich zu dem Leben Jesu, einschließlich des Kreuzes. Gott selbst offenbart sich in der Hingabe Jesu als ein Gott des Lebens und einer neuen Gemeinschaft (neuen Welt), in der der Tod nicht das letzte Wort hat. Dies ist aber nicht nur eine Selbstoffenbarung Gottes, sondern es wird deutlich, wer wir sind, was unsere Aufgabe ist und zu welchem Leben wir berufen sind.  Gegensatz: Gott des Lebens und Sterbenlassen Jesu?

Inkarnation Gottes nur dann wirklich, wenn zu 100%, inklusive sinnloses Leid, Kreuz, Folter, Mord an Kindern etc. Solidarität mit Armen, Nachfolge Jesu: Ungerechtigkeit auf sich nehmen, verhöhnt zu werden.

 

Das gekreuzigte Volk - Warum gibt es so viele unschuldige Opfer? 

Vom gekreuzigten Christus sprechen heißt, von den heute gekreuzigten Menschen zu sprechen. Im Leiden dieser Welt und so vieler Menschen wird Gott gekreuzigt. Gerade hier aber zeigt sich der Auftrag der Christen: dieses Leid, die Ungerechtigkeit, das Kreuz durch Hingabe zu überwinden. Weil Jesus diesen Weg gegangen ist und von Gott als Messias bestätigt wurde, ist dieser Weg nun frei. Warum schwieg Gott bei Jesu Tod, warum schweigt er heute? Auch er leidet und solidarisiert sich gerade so. Die Opfer dieser Welt sind daher die Orte der Gotteserfahrung und Gotteserkenntnis, in ihnen lässt sich das wahre Wesen Gottes erahnen, sie vergegenwärtigen ihn und werden so der „Ort“ der Offenbarung Gottes heute. (einerseits einmalig, andererseits immer wieder neu in Geschichte und mit Menschen, dynamischer Prozess).

 

Traditionell:  Leid, Opfer etc. - immer nur individuell (meine Errettung…). Christus hat aber einen Leib, bzw. die Kirche ist der Leib Christi. Dieser Leib Christi ist auf immer wieder neue Weise in der Geschichte gegenwärtig, besonders eben in den Menschengruppen und Völkern, die unter die Räuber gefallen sind.  Welche Schuld haben sie? Keine, wie Jesus. Sie sind die Opfer einer organisierten Gewalt. Von Menschen so gemachte Strukturen und Abläufe lassen die Kluft zwischen den Menschen immer größer werden. Und wenn die Opfer aufstehen, werden sie auch noch verhöhnt, verleumdet und aktiv bekämpft - siehe der leidende Gottesknecht, Jes 53: Gott ist hier nicht nur parteiisch sondern mehr: Die Armen, die Opfer werden von Gott auserwählt, um für alle Menschen exemplarisch zu zeigen, was Erlösung und Befreiung bedeuten. Als Botschaft an die reichen Völker gilt: Das Geringe wird erwählt, um die Welt zu retten. Das gekreuzigte Volk Gottes bestätigt einerseits die Existenz und Wirkmächtigkeit der realen Sünde dieser Welt und zeigt andererseits der ganzen Menschheit den Weg zur Umkehr und die Gewissheit der Errettung durch Gott. Was dies bedeutet, ist in Jesus Christus für alle Zeit offenbar geworden.

 

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III.  Das Lehramt stellt die “gefährlichen Irrtümer” von Jon Sobrino in sechs Punkten dar:



1.
„Der kirchliche Ort der Christologie kann nicht die ‚Kirche der Armen‘ sein, sondern der apostolische Glaube, der von der Kirche an alle Generationen überliefert worden ist…  Aufgrund seiner besonderen Berufung in der Kirche muss sich der Theologe ständig vor Augen halten, dass die Theologie Wissenschaft des Glaubens ist.“

 

Die Kirche ist der reale Ort für die Christologie wie für jede Theologie. Wir wissen nur etwas über Jesus, weil es danach die Kirche gab. Kirche und Lehramt haben nicht nur das Recht, sondern die Pflicht, Jesus Christus zu verkünden und eindeutig falsche Christusbilder und falsche Praktiken zu benennen (da hätte sie wahrhaft heute noch viel zu tun). Andererseits gilt: die (verfasste) Kirche ist nicht der einzige Ort der Christuspräsenz, Christus ist nicht Eigentum der Kirche. Die Existenz einer Kirche der Armen erinnert die Kirche als Ganzes an ihre Fundamente und an ihre zentrale Bestimmung: Zeichen des Heils zu sein, vor allem für die Bedrängten, die Verfolgten, die Opfer. Der Ausdruck "Kirche der Armen" stammt von Johannes XXIII., der zur Einleitung des Zweiten Vatikanischen Konzils drei große Aufgaben nannte: Die Öffnung der Kirche zur Welt von heute, die Bewahrung der Einheit der Christen sowie die Anerkennung der Kirche der Armen. Kardinal Lercaro griff dieses Thema auf und erkannte, dass das Konzil dieser Aufgabe nur gerecht werden kann, wenn die Kirche das Geheimnis Jesu Christi in den Armen "zum Zentrum, zur Seele der doktrinalen und gesetzgebenden Arbeit dieses Konzils" macht. Sobrino macht nichts anderes als diesen Impuls, der sich dann vor allem in Gaudium et Spes niedergeschlagen hat und der von der lateinamerikanischen Bischofssynode in Medellín weiter getragen wurde, christologisch und ekklesiologisch auszufalten und in der konkreten Erfahrung der einfachen Menschen zu verankern. (Bischof Dammert war entscheidender Motor der Bewegung der “Kleinen Bischöfe” im Geiste von Charles de Foucauld, die feierlich gelobten, diese Kirche der Armen in ihren eigenen Diözesen auf den Weg zu bringen).

 

2. Was die „Göttlichkeit Jesu“ angeht, wird darauf hingewiesen, dass mehrere Behauptungen des Autors die Tendenz haben, die Tragweite der Erzählungen des Neuen Testaments, in denen bejaht wird, dass Jesus Gott ist, herabzumindern“. Sobrino sei der Ansicht, dass die Göttlichkeit Jesu Christi erst nach einer langen Zeit gläubiger Reflexion angenommen worden und im Neuen Testament nur „im Keim“ enthalten sein. Der Heilige Stuhl hält diesbezüglich fest: „Das Bekenntnis der Göttlichkeit Jesu Christi ist ein absolut wesentlicher Punkt des Glaubens der Kirche seit ihren Anfängen und findet seine Bezeugung schon im Neuen Testament.“

 

Ratzinger: “Ich respektiere den Glauben, sagt beispielsweise J. Sobrino: Die Erfahrung, die Jesus mit Gott hat, ist in ihrer Wurzel historisch. “Sein Glaube wird zur Treue”. Sobrino ersetzt in der Folge konsequent Glauben durch “Treue zur Geschichte” (1984!)

Kommentar. Was ich im Text wörtlich sage ist: “sein Glaube an das Geheimnis Gottes verändert sich zu einer Treue zu diesem Geheimnis”… womit ich die Prozesshaftigkeit des Aktes des Glaubens aufzeigen möchte. Ich sage auch, dass “der Brief an die Hebräer auf bewundernswerte Weise zusammenfasst, wie in Jesus historische Treue gegenwärtig wird und in der Geschichte die Praxis der Liebe zu den Menschen und die Treue zum Geheimnis Gottes”. Die Auslegung Ratzingers, die Glauben durch Treue zur Geschichte ersetzen will, ist ungerechtfertigt. Ich wiederhole mehrmals: “Treue zum Geheimnis Gottes”.

Keineswegs verwechsle ich Gott und Geschichte. Weiters ist die Treue keine abstrakte Geschichte, oder eine von Gott entfernte und absolut gesetzte, sondern es ist die Treue zur Liebe zu den Menschen, die im Neuen Testament eine besondere Grenzenlosigkeit besitzt und eine Vermittlung der Wirklichkeit Gottes darstellt.

 

Die Notifikation zum Umgang mit der Bibel: „Von neuem zeigt sich hier wieder die schon früher erwähnte Schwierigkeit im Gebrauch, den P. Sobrino vom NT macht. Eine hypothetische, historische Rekonstruktion, die irrig ist, hat den Vorrang gegenüber den neutestamentlichen Daten“.  Sobrino legt seinen Aussagen die Ergebnisse moderner Bibelforschung zugrunde. Die können manchmal irren, ja. Aber hat die Glaubenskongregation demgegenüber einen besonders privilegierten Zugang zur Bibel - oder einen heißen Draht zu deren Urheber und Verfasser?  Beispiel: Jungfrau Maria weil in Bibel von Jungfrau die Rede ist? 

 

3. Die Inkarnation des Gottessohnes: “Pater Sobrino vertritt die christologische Häresie des Assumptionismus. Diese glaubt, dass der so genannte historische Jesus eine vom Logos unabhängige rein menschliche Figur sei, die von der Gottheit des Logos gleichsam aufgesogen wurde. Für die Glaubenskongregation ist in den Schriften von Pater Sobrino zuwenig klar, dass der Gottessohn mit Jesus identisch ist und umgekehrt”.

Chalkedon (451): Einheit von Gott und Mensch, 1 Person in zwei Naturen:  Diese Definition ist Ergebnis eines langen Prozesses, meist in Abwehr gegen andere Meinungen und Strömungen. Diese Definition war den Evangelisten nicht geläufig. Erst in einem langsamen Prozess hat sich das Verständnis dessen entwickelt, was mit der Aussage: Gott und Mensch gemeint sein könnte. Verengung und Verkürzung des Glaubens an Jesus Christus, wenn der Versuch (es kann immer nur Versuche geben...) einer philosophisch -theologischen Erklärung über die gesamte Vielfalt der Glaubensaussagen im NT selbst und auch späterer Aussagen stellt.

 

4.  “Das fundamentale Anliegen der Predigt Jesu ist das “Reich Gottes”. Dieses Konzept findet sich auch im Kern der Theologien der Befreiung, aber es wird auf der Grundlage der marxistischen Hermeneutik gelesen. Nach J. Sobrino darf dieses Reich weder auf spiritualistische, noch auf universalistische Weise, und auch nicht im Sinne eines abstrakten eschatologischen Vorbehaltes verstanden werden. Es muss auf eine parteiische Weise verstanden werden und in Hinwendung zur Praxis. Nur von der Praxis Jesu ausgehend, und nicht auf theoretische Weise, kann bestimmt werden, was das Reich bedeutet; mit der historischen Wirklichkeit zu arbeiten, die uns umgibt, um diese in das Reich zu verwandeln”.

 

Sobrino: „Es ist falsch, dass ich vom Reich Gottes auf der Grundlage der marxistischen Hermeneutik sprechen würde. Es stimmt aber, dass ich entscheidenden Wert darauf lege, die Praxis Jesu nachzuahmen, um zu einer Vorstellung zu gelangen, die uns näher zu jener Vorstellung bringt, die Jesus vom Reich Gottes hatte. Wie sagen Jeremia und Hosea: “Gerechtigkeit schaffen, bedeutet das nicht, mich zu kennen?”.

Reich Gottes wurde in Vergangenheit fast immer als ein rein geistiges und überirdisches aufgefasst (nach dem Tod). Dies widerspricht fundamental der Botschaft Jesu. Zeichen des Reiches Gottes in dieser Welt? Wenn Armen die Gute Nachricht hören, wenn Lahme laufen, Blinde sehen und den Zerschlagenen die Freiheit verkündet wird. Kirche Jesu Christ ist das Sakrament - Zeichen - dieses Neuen Lebens.

Für Sobrino ist Jesus ist der Mittler, die Verkörperung des Reiches Gottes, in Person; das Reich Gottes ist direkt auf ihn bezogen, mit seinem Auftreten und dem Beginn der Verkündigung. Es zeigt sich aber auch - wird zeichenhaft präsent in Personen wie Oscar Romero, oder in Mose, etc.  Rom wirft nun Sobrino vor, dies letztere sei eine Verwässerung der kirchlichen Lehre, nach der Jesus und das Reich Gottes unmittelbar aufeinander bezogen sind. Aber das sagt ja auch Sobrino, nur malt er dies zusätzlich noch geschichtlich aus und will so zeigen, was das für uns konkret bedeuten kann; z.B. Einsatz für Gerechtigkeit.

 

Dazu noch ein Zitat aus dem neuen Jesusbuch des Papstes: S 83-84: „Deshalb müsse nun der Schritt zur Regno-Zentrik ….“ plus S. 92: „Vor allem wird uns dabei aufgehen….“.  Mit welchem Recht spricht er so vielen gläubigen Christen, die sich für Gerechtigkeit, Frieden und Bewahrung der Schöpfung einsetzen, den Glauben ab? Denn das tut er de facto! Müssen sie sich auch noch vom Papst verhöhnen lassen? Steht eine solche Interpretation des Einsatzes für eine gerechtere Welt nicht sogar im Widerspruch zur Lehre der Kirche?  Weiß Josef Ratzinger überhaupt, wovon er redet?

 

5. Das Selbstbewusstsein Christi:“Pater Sobrino leugnet das Wissen Jesu um seine Gottessohnschaft. Damit erklärt er Jesus Christus zu einem “Gläubigen wie wir. Damit reduziert er auch die Offenbarungsgewalt Christi auf jene eines Propheten oder Mystikers. Die hypostatische Union und seine Sendung zur Offenbarung und Erlösung erfordern die Vision (Visio beatifica) des Vaters und die Einsicht in den Plan der Erlösung“.

 

Dass Jesus dieses Bewusstsein hatte widerspricht der Erkenntnis aller modernen Exegeten. Selbst Johannes Paul II: spricht “nur” von einer “einzigartigen Kenntnis und Erfahrung Gottes” bei Jesu.

 

 

6.  Bezüglich des erlösenden Werts des Todes Jesu wird erklärt, dass der Theologe die Erlösungstat Christi zu etwas Moralischem verkürze und ihr keinen absoluten Wert beimesse. „Er behauptet vor allem, entgegen den universalistischen Konzeptionen, dass die Auferstehung in erster Linie eine Hoffnung für die Gekreuzigten ist, die die Mehrheit der Menschen darstellen. Diese Träumerei über die Geschichte wird durchgeführt, indem sich in der Geschichte immer wieder die Handlung Gottes wiederholt, das heißt, indem den Gekreuzigten der Geschichte Leben gegeben wird. Der Mensch hat so die Handlungen Gottes übernommen, und darin verändert sich die biblische Botschaft auf eine fast tragische Weise, wenn man daran denkt, wie sich diese Nachahmung Gottes ausgewirkt hat und sich auswirkt.“ „Die Erlösung scheint sich auf das Erscheinen des wahren Menschen zu beschränken, der sich in der Treue bis zum Tod manifestiert. Der Tod Christi ist ein Beispiel (exemplum) und nicht ein sacramentum (Geschenk). Die Erlösung reduziert sich auf einen Moralismus“.

Sobrino deutet den Kreuzestod Jesu als vollkommene Hingabe für die Menschen, als radikalstes Zeichen der Menschwerdung Gottes bis zum Letzten, Gottessohn wird zum Opfer der Sünde dieser Welt (der Menschen) und gerade dadurch wird den Menschen eine neue Perspektive geschenkt, die Möglichkeit eines neuen Lebens in einem neuen Himmel und einer neuen Erde. Diese Chance  (Gnade) zu begreifen und dieses neue Leben zu beginnen, ist ja gerade unser Auftrag und unsere Berufung als Jüngerinnen Christ. Uns dies können wir nur in Gemeinschaft und im Dienst an der Gemeinschaft.  Kommentar. Wenn die Auferstehung Jesu die eines Gekreuzigten ist, scheint es mir zumindest plausibel, sie theologisch als eine Hoffnung für die Gekreuzigten zu verstehen. In dieser Hoffnung können wir alle in dem selben Maß teilhaben, in dem wir auch am Kreuz teilhaben.  „Soweit mein Kommentar zu den Anschuldigungen von Ratzinger. Ich erkenne meine Theologie in der Lektüre dieser Texte nicht.“

 

Bereits 1984: genau die gleichen Vorwürfe gegen Sobrino und andere Theologen der Befreiung (siehe Forum Weltkirche): „Sobrino weist darauf hin, dass die nun erhobenen Vorwürfe bereits 1984 in einem Artikel von Ratzinger formuliert worden seien (zu: Jesús en America Latina, 1982). Beunruhigend ist dies umso mehr, als Ratzinger in dem damaligen Artikel die Aussagen Sobrinos verdrehte oder gar falsch zitierte, um schließlich zum Urteil zu kommen, dass Sobrino die Formel des Konzils von Chalkedon völlig verfälsche (Jesus ist ganz Mensch und ganz Gott), dass er das Reich Gottes im Lichte einer marxistischen Hermeneutik interpretiere (Klassenkampf), die biblische Botschaft von der Auferstehung völlig verfälsche und den Menschen zum Akteur mache, der das Handeln Gottes übernehme“.

 

 

 

Mein Eindruck

 

Aus der Sicht der Armen und Ausgeschlossenen, die die befreiende Botschaft von der Menschwerdung Gottes mitten unter ihnen am eigenen Leib verspürt haben und deren Leben sich gerade deswegen verändert hat, weil sie einen Gott auf ihrer Seite (einen “Gott mit uns”) erfahren haben, sind die von Rom aufgeworfenen Fragen völlig unverständlich. Hier prallen schlicht und einfach zwei Welten aufeinander. Warum sollte die abendländisch geprägte Ausformung des Christentums per se die Einzigartigkeit Jesu Christi besser ausdrücken können, als andere kulturelle Ausformungen? Die Glaubenskongregation wirft Sobrino vor, die menschliche Erfahrung Jesu zu stark zu betonen und dabei die Einheit von Christus (Gott, Logos von Ewigkeit zu Ewigkeit) und Jesus zu gefährden. Weder Sobrino und schon gar nicht die Campesinos verstehen das so, dass dadurch die Göttlichkeit Jesu in Frage gestellt würde. Im Gegenteil: Weil Gott sich bis zum Äußersten mit den Menschen identifiziert - in der Person Jesu, des verheißenen Messias - ist Befreiung, ist Erlösung möglich geworden. Gerade dies gibt den Menschen die Kraft, ihr Leben neu zu gestalten und die “Mächte des Todes” (Ungerechtigkeit, Elend, etc) zu überwinden. In den Zeugnissen der Evangelien und in der kirchlichen Tradition gilt deswegen Jesus als der Mensch schlechthin, d.h. er zeigt (oder in ihm zeigt uns Gott), was wahres Menschsein eigentlich bedeutet und was die Berufung von uns allen ist. Sobrino unterstreicht die Leidensfähigkeit Jesu und damit die grenzenlose Solidarität mit den Verachteten, Geschundenen, Unterdrückten (eben mit dem gekreuzigten Volk), indem er darlegt, dass Jesus als Mensch nicht wissen konnte, dass er allmächtiger Gott ist, sondern auf Gottes Kraft und Güte vertrauen musste. Aber er hebt die Göttlichkeit Jesu damit nicht auf. Die Kernbotschaft Jesu ist, dass das Reich Gottes mit ihm beginnt. Er verkörpert das Reich Gottes und er zeigt es uns in seinen Worten und Taten. Deswegen können auch wir uns mit allen Kräften für dieses Reich Gottes einsetzen, damit es inmitten dieser Welt, so wie ist, immer mehr wachse und sichtbar werde - z.B. indem Menschen inmitten einer Welt voller Hunger das Brot miteinander teilen und inmitten einer Welt voller Gewalt und Ungerechtigkeit, eine geschwisterliche Gemeinschaft bilden. 

 

Die Glaubenskongregation müsste man daher fragen, ob sie nicht ihrerseits diese Identifikation Gottes mit den Menschen zu sehr verwässert oder konkret auf Prof. Josef Ratzinger bezogen, ob bei ihm die Menschwerdung Gottes unter den Ausgegrenzten und Verstoßenen tatsächlich den Stellenwert hat, wie in der Bibel beschrieben. In einer platonisch ausgeprägten Theologie scheint Gott nicht wirklich “zur Welt gekommen” zu sein. Die Armen kommen auf jeden Fall bei dem Theologen Ratzinger  kaum vor und wenn, dann höchstens als Objekte der Fürsorge - und selbst das ist bei ihm etwas Additionales, es gehört nicht zum Kern. Die Option für die Armen, d.h. der Eintritt in ihre Welt, ihren Hunger nach Brot und nach Gerechtigkeit teilen - das alles scheint nicht die Welt des Josef Ratzinger zu sein.

 

 

 

Was steckt hinter der Ermahnung an Jon Sobrino?

 

Kein theologisches Werk kann so komplett und orthodox sein, dass es nicht irgendwelche Lücken gäbe. Sobrino meint man darauf hinweisen zu müssen, dass er dieses nicht genau erklärt und jenes nicht ausreichend berücksichtigt habe usw. Einzige Möglichkeit, solche Ermahnungen zu vermeiden wäre, jede Art von Theologie einzustellen und nur noch die Texte der großen Konzilien zu zitieren. Aber ob man selbst dann den kompletten Glauben hätte? Und man könnte ja auch die gesamte Bibel auswendig lernen. Ob man dann ein besserer Christ wäre?  Vielleicht geht es aber um etwas ganz anderes: In einer erklärenden Note zur Notifikation heißt es: „Die Sorge um die Ärmsten und Einfachsten war seit dem Anfang einer der charakteristischsten Wesensmerkmale der Sendung der Kirche“. Das scheint voll mit dem übereinzustimmen, was auch Sobrino sagt bzw. einfordert. Es bestätigt, dass die Option für die Armen zum Wesen der Kirche gehört. Das Problem - und der fundamentale Unterschied - kommt dann aber in dem 2. Satz der Note zum Ausdruck: „Die grundlegende Armut der Armen besteht darin, Christus nicht zu kennen“  und „der vorrangige Auftrag der Kirche besteht darin, den Armen den wahren Christus zu verkünden, jenen Christus, der durch seinen Tod die zentrale Figur im göttlichen Heilsplan ist. Diese Verkündigung - so interpretieren dies immer mehr Bischöfe in LA - geschieht vornehmlich oder gar ausschließlich in den Sakramenten. Abgesehen davon, dass hier vom historischen Jesus wenig zu spüren ist, von seinem Umgang mit den Menschen, von seiner Botschaft vom Reich Gottes, kommt noch etwas Wesentliches dazu: Hier wird behauptet, dass das wahre und eigentliche Problem der Armen nicht der Hunger ist, nicht das unwürdige und elende Leben, nicht die Diskriminierung und Verachtung, nicht die Gewalt, die man ihnen antut und die jeden Tag unzählige Kinder ums Leben bringt…. Nein, die eigentliche Armut besteht darin, nicht Christus zu kennen, der geschickt wurde um zu sterben, damit wir von unserer Schuld erlöst würden. Nebenbei: wer sagt dem Papst, dass die Armen diesen Jesus Christus nicht kennen? Und kennen ihn denn die Reichen?  Hier wird die eigentliche, die biblische  Option für die Armen, in ihr Gegenteil verkehrt. Arm oder reich ist egal, es kommt nur darauf an, Christus zu kennen. Geschweige denn, dass die Ursachen der Armut genannt werden - aber dies hat ja offensichtlich mit dem Glauben nichts zu tun. Eine solche Interpretation Jesu Christi und seiner Rolle im Heilsgeschehen erinnert fatal an die Jahrhunderte währende Missionierung in Lateinamerika: Eroberer - Indios als Sünder - Rettung (Himmel) durch Bekehrung. In Wirklichkeit haben sie über 400 Jahre nie etwas von dem Mensch gewordenen Gott gehört, der Mensch geworden ist wie sie, von Jesus, der mit ihnen lebt, leidet und aufersteht. Und es erinnert mich an die wiedergeborenen Christen in den USA mit ihrer entsprechenden Ideologie von Gut und Böse und nach der der Reichtum als Gnade und Auserwählung durch Gott interpretiert werden kann.  Mich persönlich überraschen diese Aussagen der Glaubenskongregation nicht. Wer in derart extrem-abstrakter Weise von Gott, von Jesus, vom Glaube spricht, der kann die konkret gelebte Wirklichkeit und die Welt, wie sie ist - in die immerhin Gott seinen Sohn gesandt hat - nicht wirklich wahrnehmen bzw. er hat Angst vor all diesem „Dreck“.  Wer den Ängsten und Freuden, den Sorgen und Hoffnungen der real lebenden Menschen so wenig Eigenwert - theol. Eigenwert zumisst - der vertritt eine weltlose Theologie und noch schlimmer - denn das ist die Folge davon: dies kann zu einer unmenschlichen Praxis führen.

Ist es so schwer zu erkennen, dass z.B. wie in Mt. 25 gezeigt, derjenige der Arme ist, der nichts zu essen, keine Kleidung usw. und nicht zuerst (!) derjenige, der Christus nicht kennt? Alle Theologen und kirchliche Dokumente wie das Konzil, Medellín etc. bestätigen dies, aber der Papst kann dies nicht so sehen. Oder steckt vielleicht noch ein grundsätzliches Problem dahinter und geht es um viel mehr? Wenn die Frage nach der Armut eine Frage auf Leben und Tod ist, dann müssen sich Theologie und Kirche auch um Politik, Wirtschaft und Soziologie kümmern. Wenn die Kirche ihre Aufgabe erfüllt, den Gott des Lebens und die Gegenwart Gottes in dieser Welt zu verkünden muss sie eindeutig Partei ergreifen. Wenn es aber die Hauptaufgabe der Kirche ist, egal ob arm oder reich einen abstrakten Christus zu verkünden, der durch seinen Opfertod der Kirche einen unermesslichen Gnadenschatz überlassen hat, aus dem allein sie (d.h. der Klerus) schöpfen kann, dann ist jeder Mensch heilsnotwendig auf die Vermittlung eben dieser Kirche angewiesen. Und diese Vermittlung bzw. der Empfang der zum Heil notwendigen Gnadengaben geschieht exklusiv in den Sakramenten und durch geweihte Priester. Ein Priester hat sich dann nur darum zu kümmern und wenn die Menschen was von ihm wollen, sollen sie zur Kirche gehen. Genau dies leiten immer mehr Bischöfe von den Vorgaben aus Rom ab oder begründen zumindest damit ihre Praxis. 

 

Ich sage dies als bekennendes Mitglied dieser Kirche und um der Kirche willen. Denn diese wird dann immer mehr zur Kirche Jesu Christi, je mehr die Armen mit ihren Sorgen, Ängsten und Hoffnungen in die Mitte gestellt werden, in die sie entsprechend dem Evangelium gehören. Unsere Herausforderung als Christen ist es auch, immer katholischer zu werden. Katholisch sein heißt heute, die globale Gemeinschaft aller Menschen, die an Jesus den Christus glauben, als die uns verbindende Gemeinschaft anzuerkennen. Die Mehrheit dieser Menschen lebt aber unter unmenschlichen Bedingungen. In ihrer Mitte wurde Gott Mensch. Daher können wir hier, die wir in der reichsten Kirche der Welt zuhause sind, dann umso mehr zur Kirche Jesu Christi werden, wenn wir uns von den Armen die Gegenwart Gottes erzählen lassen. Bildlich, zeichenhaft und real heißt das:  wenn wir mit den Armen das Brot des Lebens teilen. Das ist das Fundament der Kirche. Und für eine solche Kirche setze ich mich voll ein.

 

 

Anhang: Die Auswirkungen einer bestimmten Lehre (und Option) auf die Praxis

 

1. Oscar Romero: Die salvadorianische Militärjunta jener Jahre huldigte der in Lateinamerika vorherrschenden "Doktrin der Nationalen Sicherheit". Weihbischof Chávez beschreibt den Kern dieser Ideologie so: "Jeder, der Veränderungen will, ist Kommunist und muss eliminiert werden." Als fester Bestandteil des Staatsapparates fungierten in El Salvador die "Todesschwadronen" zur Ermordung von Regimegegnern. Romero besuchte die Gemeinden und Christen, die zur Zielscheibe dieses Staatsterrors wurden, und ließ im Menschenrechtsbüro seines Bistums alle Vorfälle dokumentieren: "Es ist meine Aufgabe, Gewalttätigkeiten festzuhalten und Leichen aufzusammeln." In den Auftragslisten der Todesschwadronen war die Prämie für die Tötung eines Priesters höher angesetzt als die für den Mord an einem Campesino oder linken Intellektuellen. Auf Flugblättern stand die Parole: "Sei ein Patriot! Töte einen Priester!" Im Januar 1979 hatte Romero den Präsidenten von El Salvador wegen dessen Untätigkeit angesichts der fortlaufenden Ermordung von Christen exkommuniziert. Im Frühjahr des Jahres fuhr er nach Rom, um dem Papst seine Sichtweise darzulegen und ihn wegen der anhaltenden Kirchenverfolgung in El Salvador um Unterstützung zu bitten. Im Gepäck hatte er sorgfältig zusammengestellte Dokumente über die Verbrechen der Junta und ein Foto des kurz zuvor ermordeten indigenen Priesters Octavio Ortiz.  Laut Augenzeugenbericht von Monsignore Jesus Delgado kam es auf dem Petersplatz zu folgendem Dialog. Der Papst: "Ah, Monsignore Romero. Hüten Sie sich vor dem Kommunismus!" Romero: "Eure Heiligkeit, die Kommunisten in Salvador sind nicht dasselbe wie in Polen." Der Papst noch einmal: "Hüten Sie sich vor dem Kommunismus!" Die Romero-Biographin María López Vigil schreibt, der Erzbischof habe für den folgenden Tag zumindest eine private Audienz beim Papst erbetteln können. Johannes Paul II. habe bei diesem Treffen nur über die Fülle der vorgelegten Dokumente geklagt und keines der Papiere auch nur angerührt. Er sei vom Foto des ermordeten Priesters unberührt geblieben und hätte – ohne Fragen an den Erzbischof zu stellen - "Harmonie" mit der salvadorianischen Regierung eingefordert.  Verbürgt ist die große Enttäuschung Romeros nach seinem Rombesuch: "Ich glaube, ich werde nicht noch einmal nach Rom kommen. Der Papst versteht mich nicht." An der Kathedrale von San Salvador hatte es während der Reise gerade wieder ein Massaker gegeben.

 

Vergeblich hatte der Vatikan Anfang 1979 die Universität Georgetown in Washington gebeten, von einer Verleihung der Ehrendoktorwürde an Romero Abstand zu nehmen. Im März 1980, so berichtet John L. Allen, entschieden sich die drei Kurienkardinäle Silvio Odino, Franjo Seper und Sebastiano Baggio dafür, dem Papst eine Amtsenthebung des Erzbischofs von San Salvador zu empfehlen. Diese Entscheidung kam nicht mehr zur Ausführung, denn wenige Tage später wurde Oscar Romero am Altar erschossen. Rom hat den Erzbischof von San Salvador vor seiner Ermordung nachweislich im Stich gelassen und sogar gedemütigt. Zur Rechtfertigung für ihre Christenverfolgung beriefen sich Faschisten in Lateinamerika gerne auf die Amtskirche. Als Joseph Ratzinger 1984 sein scharfes Dokument zur Befreiungstheologie veröffentlicht hatte, meinte Edward Schillebeeckx: "Die Diktatoren Lateinamerikas werden die Anweisung mit Freuden aufnehmen, denn sie wird ihren Zwecken dienen." 1985 deklarierte ein Prälatenkreis um Lopez Trujillo bei einem Treffen in Chile die Befreiungstheologie als "marxistische Verkehrung" des Glaubens. Pinochets Staatsfernsehen berichtete ausführlich darüber, und das Militär rechtfertigte unter Berufung auf die besagte Diagnose die Verhaftung und Folterung von kath. Priestern.

 

2. Zu „Ideologie und Politik:  Die römische Kritik an der Befreiungstheologie gibt sich entsprechend ganz unpolitisch. Sie beruft sich aktuell vor allem auf das "objektive" Dogma, das die Staatskirche ab dem vierten Jahrhundert in philosophischer Begrifflichkeit festgeschrieben hat. Darin wird von Jesus in einer Weise gesprochen, die selbst den meisten Gläubigen unverständlich bleibt. Von philosophischer Metaphysik haben Jesus und seine Jünger in Galiläa ja gar nicht gesprochen. In der Bibel steht auch nirgends, dass die Menschen am Ende aller Zeiten gefragt würden, ob sie den Römischen Katechismus und die Dogmen der frühen Konzilien richtig aufgesagt haben. Jesus nennt vielmehr ein allgemein verständliches Kriterium: "Ich war hungrig und ihr habt mir zu essen gegeben. Ich war ein Fremdling und ihr habt mich aufgenommen. Ich war im Gefängnis oder krank und ihr seid zu mir gekommen." (vgl. Mt Kap. 25, 31-46). In einer solchen Welt ist Roms dogmatische Option nicht neutral, sondern eine hochpolitische Parteinahme. Sie dient dem europäischen Machtanspruch innerhalb der Weltkirche und die "Option für die Armen", wird im Sinne nordamerikanischer Vorstellungen zu einer unverbindlichen "Liebe zu den Bedürftigen" verwässert.

- Ernennung von Erzbischof Levada im Tausch gegen Ernennung von Bundesrichtern in USA - Abtreibung

- Religiosität in USA gilt dem Papst als Vorbild für das gottlose Westeuropa (Massenbegeisterung, persönliche Begegnung mit Jesus - Spendenfreudigkeit - moralischer Rigorismus - Kampf gegen das Böse).

Als Zeichen der gegenwärtigen Verfassung der Weltkirche auf der Ebene der Hierarchie kann der Umstand gewertet werden, dass die Kurienkardinäle Alfonso Lopez Trujillo (Päpstlicher Familienrat) und Dario Castrillón Hoyos (Kleruskongregation) ernsthaft als Papstkandidaten gehandelt werden. Thomas Seiterich-Kreuzkamp nennt sie in „Wer Wind sät, wird Sturm ernten“ in Publik-Forum 23/2002 vom 6. 12. 2002 die „Haus- und Hofkapläne“ der Rechten und der Drogenkartelle in Kolumbien. Und er fährt fort, S. 28: „Würde einer dieser beiden kurialen Rechtsausleger nach dem Tod von Papst Johannes Paul II. zum Pontifex gewählt, so würde die Blutspur des Kolumbienkrieges gar bis an die Spitze der römischen Weltkirche führen“ („Rechte“ in Kolumbien meint u.a. auch die paramilitärischen Todesschwadronen). Komplettiert wird dieses Panorama durch den Kardinal und Erzbischof von Lima, Cipriani, der ebenfalls als Papstkandidat (als einziger amtierender Kardinal des Opus) genannt wird und der eng mit dem Regime Fujimori verknüpft war (ist).

 

 

3. Authentische Interpretation des Konzils  (8. Dez. 2005, Radio Vatikan)

Die Rezeption der Botschaften des Konzils erfolgte gemäß Benedikt XVI. auf zwei Weisen: gemäß zwei verschiedenen Interpretationen, die miteinander im Widerstreit lagen. Die erste Interpretation bezeichnete der Papst als "Hermeneutik der Diskontinuität und des Bruchs" zwischen vor- und nachkonziliarer Kirche. Diese Sichtweise habe nicht den Konzilstexten Priorität eingeräumt, sondern der Geist der Erneuerung, und sie "konnte sich die Sympathie der Massenmedien und eines Teils der modernen Theologie sichern". Die andere Interpretation, die "Hermeneutik der Reform" sei die von Papst Johannes XXIII. und Papst Paul VI. gewollte Leseart des Konzils und bringe "im Stillen, aber immer sichtbarer", ihre Früchte hervor. Gemäß dieser Sichtweise bestehe das Ziel des Konzils und jeder kirchlichen Reform darin, "die Lehre rein und vollständig weiterzugeben, ohne sie abzumindern oder zu verzerren. Benedikt XVI. schloss mit den Worten: "Heute können wir in Dankbarkeit auf das Zweite Vatikanische Konzil zurückblicken. Wenn wir es mit der richtigen Hermeneutik lesen und rezipieren, kann es immer mehr eine große Kraftquelle sein für die immer notwendige Erneuerung der Kirche."  

Ratzinger beschuldigt kurzerhand alle Theologen und Bischöfe, die nicht seine Interpretation des Konzils teilen, mit der Tradition der Kirche zu brechen. Beispiel Bischof Dammert, Helder Cámara u.a. - Verwechselt hier der streitbare Theologe Ratzinger vielleicht seine privaten Auseinandersetzungen vornehmlich mit deutschen Theologen mit seiner Rolle als Papst, dem Zeichen der Einheit für alle?  Und die „Früchte des Konzils“ - welches sind die Kriterien für die rechten Früchte (s.u.)?

 

4. Griechische Philosophie als einzige Möglichkeit 

Heute gibt es Strömungen mit Ideologien im Schoß der Kirche, die gegen das Evangeliums gerichtet sind. So sagt der Theologe José Ignacio González Faus: „Die Kirche installiert so einen ‚ekklesiologischen Arianismus’, der Gott als Autorität und nicht als Gemeinschaft (Kommunion, Trinität) versteht und wo die innertrinitarische Dynamik des Gebens und Empfangens durch eine heidnische Dynamik des Beherrschens und Unterwerfens ersetzt wird. Das verfälscht die zwei authentischsten Selbstaussagen Gottes für uns: Vater und Sohn. Gott ist nicht mehr Vater (oder Mutter), weil er Leben schenkt, sondern weil er ‚herrscht und befiehlt’.“ (”Calidad cristiana. Identidad y crisis del cristianismo”, José Ignacio González Faus).

 

5. Platonismus  (nach Elmar Klinger)

- Platonisch ist das Verständnis von Politik, wenn gesagt wird, Glaube sei nicht auch Herrschaft und daher keine Politik

- Platonisch ist der Assistenzialismus im Begriff des Armen, die nicht als eigene Subjekte gelten

- Platonisch ist der Autoritarismus im Amtsverständnis - alle Macht den Behörden

- Platonisch ist der Begriff des Neuen, sofern dies nur als identisch mit dem Schlechten gilt (Umsturz  „Veränderung ist von Übel“, Ruhe aber ist göttlich“)

- Platonisch ist die Betonung der Ungleichheit statt der Gleichheit

- Platonisch ist die Idee vom vollkommenen Staat, der den Bürger beaufsichtigt und gängelt (Kirche) und der prinzipiell ein Klassenstaat ist (Mündige und Unmündige).

- Platonisch ist Idee der Erziehung (Katechese): Übernahme einer Doktrin statt eigene Erfahrung

- Platonisch ist die Idee von der gerechten Ungerechtigkeit und Unfreiheit.

- Platonisch ist, dass es keinen prinzipiellen Unterschied zwischen Diktatur und Demokratie gibt

Fazit: Die Glaubensbehörde ist ursprünglich ein Produkt des Platonismus, das 2. Vat. Konzil hat aber den Platonismus in der Kirche überwunden.

 

6. Vamos Caminando: (einzigartiges Dokument, da 1. Konfrontation Ratzingers mit dem befreienden Glauben der Campesinos); Dokumentation in: http://www.cajamarca.de/download/ratzinger.pdf

Im Kontext dieser Arbeit über den Glauben und die Kirche der Menschen von Cajamarca wird deutlich, wie die Ausführungen und das Vorgehen von Kardinal Ratzinger zu bewerten sind und welchen jeweiligen Standort sie verdeutlichen. Sie umfassen das gesamte übliche Instrumentarium und die gesamte Palette aller Vorwürfe und bewusster Verdrehungen gegen eine Praxis, die ausgehend von der Botschaft Jesu die Menschen auf Gott und die Gemeinschaft hin öffnet. Es soll aber ausgehend von den Ausführungen und Deutungen Ratzingers wenigstens noch einmal auf dieses übliche Instrumentarium hingewiesen werden.

 

·                                Ratzinger reagiert auf eine sachliche Aufzählung von Fakten mit dem Vorwurf persönlicher Diffamierung und Verleumdung. Er geht auch nicht darauf ein, dass er es ist, der falsch zitiert hat und der falsche Behauptungen aufstellt. Er stellt die Campesinos an den Pranger, verhöhnt ihren Glauben an Jesus Christus und legt ein falsches Zeugnis wider sie ab. Während dies für Campesinos tödlich sein kann, fühlt sich der Kardinal persönlich diffamiert, wenn man ihn auf sachliche Fehler aufmerksam macht. Er spricht von Pamphleten und Gerüchten, statt zu dem zu stehen, was er wirklich gesagt hat.

·                                Zur leiblichen Auferstehung: der betreffende Vorwurf geht völlig an der Realität vorbei. Doch dahinter steckt mehr. Das scheinbare Beharren auf dogmatischer Rechtgläubigkeit verdeckt, dass Ratzinger und die Kirche, für die er steht, in ihrer konkreten Praxis gerade diese Leiblichkeit Jesu und des Menschen stets bekämpfen oder zumindest ignorieren - spätestens seit den Zeiten von Augustinus. Er ignoriert damit auch den realen Kontext der Campesinos und die Menschwerdung Gottes in ihrer Mitte. Diese Welt- und Leibfeindlichkeit hatte in der Geschichte und bis heute verheerende Folgen, auf die hier nicht eingegangen werden muss.

·                                Der Vorwurf der Politisierung und der damit verbundenen Kritik von einer Vermischung oder Verwechslung von Religion und Politik ist eine völlige Verdrehung der Tatsachen. Während der Papst Menschen heilig spricht, die den Massenmord an Zivilisten als „Beitrag zur größeren Ehre Gottes“ (so der Gründer Opus Dei zu den über 200.000 Opfern des spanischen Bürgerkrieges) bezeichnen, werden die Opfer auch noch verurteilt, wenn sie sich gegen eine solche Politik verteidigen wollen und Missstände anprangern.

·                                Wenn man Ratzinger keine böse Absicht unterstellt, dann ist festzustellen, dass er selbst in persönlichen Gesprächen das herauszuhören scheint, das er schon immer vermutet hat - unabhängig davon, was der Gesprächspartner wirklich gesagt hat. Der Marxismusvorwurf an die Theologie der Befreiung erwies sich zudem bald als bloßer Vorwand, um alle die zum Schweigen zu bringen, die eine „Kirche des Volkes“ forderten und die auch die wirtschaftlichen Privilegien einer Minderheit in Frage stellten, die also wirklich an Inkarnation und leibliche Auferstehung - an die Ganzheit des Menschen - glauben. Im Übrigen ist es absurd, die Frage des Marxismus mit der Glaubenspraxis der Campesinos in Zusammenhang zu bringen.

·                                Wenn Ratzinger in seinen Ausführungen von der Theologie der Befreiung als „so sehr  rationalistisch, der lateinamerikanischen Kirche zutiefst fremd“ redet und sie in Zusammenhang mit der Versklavung fremder Kulturen durch eine sich normativ gebende bringt, ist das „diabolisch“ (die Wahrheit ins genaue Gegenteil verkehrend). Es war gerade diese europäische Denk- und Verfahrensweise, die zur Ausrottung ganzer Völker führte. In diese Tradition stellt sich Ratzinger selbst.

·                                Die Art und Weise, in der Ratzinger von Liebe und Auferstehung redet, weist darauf hin, dass er das, was die Campesinos damit meinen, was sie erlebt und erfahren haben, nicht verstehen kann. Es geht hier um verschiedene Dimensionen menschlicher Existenz.

·                                Es geht hier nicht zuerst um theologische, theoretische Auseinandersetzungen, sondern um das Leben von ganz konkreten Menschen. Die von Ratzinger diffamierten Campesinos sehen sich heute gewaltigen Repressionen ausgesetzt. Während der Gründer des Opus Dei heilig gesprochen wird, bekämpfen zwei Priester des Opus Dei die Campesinos und ihre Organisationen mit aller Macht. Die wahre Option von Glaubenshütern wie Ratzinger zeigt sich in der Praxis. Diese Option des Kardinals kann für die Campesinos tödlich sein.

 

Bald danach wurde Ratzinger zum obersten Glaubenshüter der römischen Kirche ernannt. Die Feier des beginnenden neuen Lebens und der Auferstehung als Sieg über die Mächte des Todes wird von den Glaubenswächtern als Rebellion oder „falscher Glaube“ interpretiert und bekämpft. Ratzinger soll hier nicht als bewusster Vertreter dieser Mächte präsentiert werden, vielmehr weist sein Verhalten auf den Zwiespalt hin, dass er - wie der Papst - einerseits mit Recht den gottlosen westlichen Materialismus anklagt, andererseits aber Gruppen und Bewegungen mit Sanktionen belegt, die de facto dagegen aufstehen. Dieser Widerspruch ist die logische Folge einer weltlosen Theologie und einer kirchlichen Institution, die von den Mächtigen je nach Bedarf benutzt oder lächerlich gemacht werden kann.[1]

 

B: Konkrete Auswirkungen

1. Priesterseminare  (Bücher von G. Gutiérrez in Peru verboten, Seminar in Puno etc. )

2. Keine Arbeit mit Armen mehr (deren Heil liegt allein darin, die Sakramente zu empfangen) - Sekten!!

3. Bischöfe gegen Konzil, gegen Option für die Armen (Nuntius)

4. Aussagen von Bischof Simón (siehe unten)

5. Politische Optionen (Beispiel Goldmine in Cajamarca – die Bischöfe Simón und Lázaro)

 

 

Wörtliche Aussagen peruanischer Bischöfe (ohne dass diese je ermahnt werden, im Gegenteil!)

 

Priesterbild und Auffassung  von Kirche

„Um Christ zu sein, bracht man die Vermittlung der von Gott bestellten Priester. Um gerettet zu werden, braucht man die Sakramente der Kirche, die diese ausschließlich über die Priester den Gläubigen schenkt. Der Priester ist der ausschließliche Vermittler zu Gott und zu seiner Gnade. Durch die Weihe wird der Priester zum alleinigen Vermittler zu Gott, er ist seinem Wesen nach mehr als der Laie. Das Priesteramt ist das Fundament der Kirche, es hat seine Bedeutung in der Repräsentanz der göttlichen Autorität.  „Der Kirche geht es nur deshalb so schlecht, weil es an Gehorsam und Disziplin fehlt. Ohne Gehorsam kann man keine Kirche aufbauen“. Alle Laien werden zu reinen Statisten und Objekten erklärt, was zu einem massiven Rückzug der Laien führt, zu einem Zusammenbruch der Seelsorge gerade in den Problemzonen. Allein der Priester bestimmt, was für das Heil (Wohl) der Menschen gut ist. Dies führt automatisch zu einem starken römischen Zentralismus und damit verbundener Verachtung gegenüber der Kultur, Tradition und des Glaubens der Ortskirche.

 

Dualismus Seele - Körper und Drohung mit dem Jüngsten Gericht.

„Durch tägliche Bußübungen bereiten wir uns auf das Ende der Welt vor. Nur wer ohne Sünde ist, wird gerettet werden. Deshalb müssen wir ständig bereit sein“. Rettung der Seelen, Angst, Sünde, Drohungen als Mittel der Seelsorge. Es kommt allein auf die Rettung der Seelen an. Das Ende der Welt steht bevor und gerettet werden nur die Bußfertigen. Elend als von Gott gewollte Prüfung. Wer sich dagegen auflehnt, versündigt sich.

 

Rolle der Katecheten und der Laien

Alle Basisgruppen und Laienorganisationen (vor allem Frauengruppen), die sich nicht dem Diktat des Pfarrers unterwerfen, werden als nicht kirchlich ausgeschlossen und ihrer materiellen Basis beraubt. Wer etwas vom Pfarrer will, muss ihn aufsuchen und bezahlen. („Service“). Bemühungen von Laien, Verantwortung zu übernehmen, gelten als „Anschläge auf die Kirche“.

 

Bibel: „Insbesondere Frauen können ohne Anleitung durch die Priester die Bibel nicht verstehen. Die rechte Interpretation des Wortes ist eine exklusive Gabe Gottes, die durch die Weihe dem Priester geschenkt wird. Die Kirche unterweist die Gläubigen im richtigen Verständnis“. „Die Lehre der Kirche ist das in verständliche Form gebrachte Wort Gottes und steht nicht zur Diskussion“. Wenn Campesinos Bibeln (das Wort Gottes) in die Hand nehmen, gilt das als Gotteslästerung (da Campesinos unwürdig). Stattdessen müssen Artikel aus dem Katechismus auswendig gelernt werden. Die reine Lehre respektiert nicht einmal Trauernde, so ein Pfarrer in einer Totenmesse, vor aufgebahrtem Toten: „Ich werde euch nicht die Kommunion austeilen, weil niemand von euch bei mir gebeichtet hat“. Oder in einer anderen Messe: „Ihr bekommt nicht die Kommunion, denn ihr lebt zusammen und seid nicht verheiratet.“ Wer die Lehre nicht befolgt, dem wird mit der Hölle gedroht. In Rom erklären einflussreiche Leute, dass eine zu tiefe Beschäftigung mit der Bibel zu „protestantischer Verseuchung“ führt, d.h. zu Ungehorsam, Willkür, Zügellosigkeit, kurz: zum Untergang der Kirche.

 

Sakramente

„Die wahre Aufgabe und Berufung des Priesters ist die Spendung der Hl. Sakramente. Allein durch die Sakramente gelangt der Christ zum Heil“. „Oberstes Gebot für jeden Christen ist die Erfüllung der Sonntagspflicht und der monatlichen Beichte. Daneben sind das tägliche Gebet und die Anbetung des Allerheiligsten Altarsakramentes Zeichen eines echten Christen. Um sich um soziale Probleme zu kümmern braucht man kein Christ zu sein, das können auch Gottlose“. Alle Anstrengung gilt der Durchsetzung der monatlichen Ohrenbeichte, verbunden mit dem dazu benötigtem „Sündenbewusstsein“. Aber die bisher weit verbreitete Vorbereitung auf Erstkommunion und Firmung unter Mitwirkung der Eltern (Mütter) wird verboten, weil die Eltern (Laien) generell dazu unfähig sind.

 

Fazit:

Diejenigen, die wirklich daran glauben, dass Gott unter den Ausgeschlossenen Mensch geworden ist, denen wird das rechte Christsein abgesprochen – von den „Schriftgelehrten und Hohen Priestern“, die schon zur Zeit Jesu die Geburt des Messias unter den Hirten von Bethlehem nicht wahrnehmen konnten oder wollten und stattdessen mit den Römern gemeinsame Sache machten und diesen Jesus ans Kreuz brachten.



[1]  Die beste Widerlegung einer Theologie besteht nicht in verstandesmäßigen Argumenten gegen sie, sondern in den praktischen Folgen, die sie zeitigt. Nicht nur einmal, sondern immer wieder kritisiert Bartolomé de Las Casas Sepúlveda wegen seiner intellektuellen Kühle, wegen seiner fehlenden Kenntnis der indischen Länder und wegen seiner mangelnden Einsicht in die konkreten Folgen seiner Theologie“. Gutiérrez, Gustavo: Die historische Macht der Armen. S. 162. Hier geht Gutiérrez auf den Streit zwischen Sepúlveda und Las Casas ein. Gutiérrez zitiert Las Casas: „Ich lasse in den indischen Ländern Jesus Christus, unseren Gott, zurück: gegeißelt, gequält und gekreuzigt, und zwar nicht nur einmal, sondern millionenfach“ (S. 164). Gutiérrez fährt fort: „Solch ein Gedanke wäre in der Theologie von Sepúlveda unvorstellbar: Ein Indianer, der geboren wurde, um Diener der Europäer zu sein, kann doch nicht mit Christus identifiziert werden; Herren - die können ohne weiteres mit ihm gleichgesetzt werden“. (S. 164). Ratzinger steht nicht in der Tradition von Las Casas.