Int. Symposium in Cuernavaca, organisiert von CEHILA   

 (Kommission für Kirchengeschichte der lateinamerikanischen Bischofskonferenz)

 

 

Als Koordinator der Studie wurde ich von der CEHILA zu einem internationalem Colloquium eingeladen, um die Ergebnisse der Studie (hier besonders der Teil über die sozialpastorale Arbeit von Bischof Dammert) vorzustellen, mit anschließender Veröffentlichung. Dieses Colloquium fand vom 28. - 31. Oktober 2002 in Cuernavaca, Mexiko, statt. Einberufen wurde es von der CEHILA, der bischöflichen Kommission der Lateinamerikanischen Bischofskonferenz für Kirchengeschichte in Lateinamerika. Dabei wurde die sozialpastorale Arbeit (1962 - 1992), in der Diözese Cajamarca sowohl als beispielhaft für die Entwicklung einer befreienden Pastoral in Lateinamerika als auch als notwendig und richtungsweisend für die zukünftige kirchliche Entwicklung herausgestellt und im Schlussdokument entsprechend gewürdigt. Die vorliegende Studie ist die erste wissenschaftliche Arbeit (zumindest für Peru), in der ausgehend von den Campesinos selbst die Entwicklung an der seit dem Zweiten Vatikanischen Konzil und das Entstehen einer befreienden Pastoral aufzeigt. 

Es gibt keine Arbeit zur peruanische Kirchengeschichte, in denen die Campesinos im Mittelpunkt stehen oder gar selbst zu Wort kommen. Gerade dies aber ist ein Anliegen von CEHILA und es war auch ein Anliegen von Bischof Dammert. Als ein wesentliches Ergebnis der Studie kann das neue Interesse an der eigenen Geschichte in den peruanischen Gemeinden festgehalten werden. Dies ist umso bedeutsamer, als es sich in der Mehrheit um „Indiogemeinden“ handelt (Campesinos). Denn die Campesinos haben Geschichte bisher überwiegend „erlitten“ und waren ohne Stimme geblieben. Nun aber wollen sie selbst „Geschichte schreiben“. Dies freilich ist kein Verdienst der Studie, sondern wurde in den Jahren 1962 - 1992 (Bischof Dammert) grundgelegt. Es ist aber der Verdienst der Studie, die Menschen ermutigt zu haben, diesen seit 1992 gewaltsam unterbrochenen Prozess wieder aufzunehmen und mit neuer Kraft zu gestalten.

 

Das Colloquium dient CEHILA u.a. als Vorbereitung für die geplante „Nueva Patrística América latina“. Darin sollen zwölf Bischöfe vorgestellt werden, die in beispielhafter Weise die Anliegen des Zweiten Vatikanischen Konzils und danach von Medellín in ihrer Diözese in die Praxis umgesetzt haben.[1] Einer dieser Bischöfe ist Bischof Dammert, als einziger peruanischer Bischof. Neben der konsequenten Umsetzung des „konziliaren Geistes“ liegt für die Vorbereitungskommission von CEHILA die aktuelle Bedeutung von Dammert vor allem darin, dass er zusammen mit Bischof Proaño (Riobamba) und Bischof Samuel Ruíz (Chiapas) als der entschiedenste „Bischof der Indios“ gesehen wird (eigentlich eine logische Folge aus der vom Konzil und dann besonders von Medellín vorgegebenen Option für die Armen).

Wie hilfreich die weit über Cajamarca hinaus reichenden und in der Studie festgehaltenen Erfahrungen in der Diözese Cajamarca sind, mag folgender Ausschnitt aus dem Bericht sein, den ich unmittelbar nach dem Treffen in Cuernavaca abfasste:

 

Das Treffen in Cuernavaca (28.10 - 1. 11. 02 - Mexiko) war sehr beeindruckend. Abgesehen vom programmatischen Inhalt konnte ich sehr gute Kontakte knüpfen und erhielt viele Informationen. Besonders überrascht war ich, dass meine Arbeit bzw. die sozialpastorale Arbeit in der Diözese Cajamarca (Dammert) derart interessiert aufgenommen wurde. Zwar wurde im Vorfeld Druck von der mexikanischen Bischofskonferenz auf CEHILA ausgeübt, doch ohne Erfolg. Dieses Treffen hat mich sehr ermutigt und lässt manche Unsinnigkeiten hierzulande eher vergessen.

Zuerst war es für mich eine sehr positive Erfahrung, dass man mit „wildfremden“ Menschen, sei es aus Mexiko, Argentinien, Brasilien usw., sei es mit „großen“ Theologen oder Vertretern der Basis völlig offen und angstfrei (Angst, etwas Missverständliches zu sagen) sprechen kann. Man spricht die gleiche Sprache (religiös-spirituell) und versteht sich ohne lange Erklärungen; es gibt keine Angst, etwas „Falsches“ zu sagen bzw. dass jemand etwas missverstehen kann oder will oder dies bewusst tut. Woran liegt das wohl? Die gleiche Erfahrung mache ich ja auch bei den christlichen Gruppen in Cajamarca - doch hier bei uns, in der Kirche, in der Gemeinde - wer spricht noch von seinem Glauben, seinem Fundament?

Hier eine kleine Auswahl ungeordneter Stichpunkte, die mir in Cuernavaca besonders aufgefallen sind und die dort auch vorherrschten, meist in der Form wörtlicher Zitate:

 

-         Das Konzil wurde immer wieder erwähnt, als Anstoß, als Grundlage, als gemeinsames lebendiges Fundament. Daher auch die Notwendigkeit, an Dammert etc. zu erinnern.

-         Zu Jesus: er suchte nicht den Konflikt, sondern diese kamen aufgrund seiner Botschaft; er verwechselte nicht „Frieden“ mit der „Abwesenheit von Konflikten“.

-         Man spricht hier oft von der „Iglesia Romana“; die „Theologie“ Roms ist keine Theologie, sondern sie ist eine Demonstration und Rechtfertigung von Macht. Sie steht im Dienst der Macht, es ist eine Praxis der Macht und nicht der Theologie.

-         Bestehen auf einen wahrhaften Dialog, ohne dass die Europäer die Regeln des Dialogs (oder Diskurses) bestimmen. Wenn z.B. die „Indígenas“ von Gott reden, dann dürfen wir keine Regeln aufstellen, in welcher Form und gemäß welcher Terminologie dies zu geschehen hat - aber genau dies geschieht („teología índia“ als zentrales Thema).

-         Wir sind das Volk und wir machen Theologie; Theologie entsteht aus der Gemeinschaft heraus. Basisvertreter: Theologie an den Universitäten hat nichts mit der Realität zu tun, in der das Volk lebt (und leidet).

-         Der eigentliche Konflikt mit der „teología índia“ ist der Konflikt zwischen Herrschern und Beherrschten; was nicht eingegliedert (beherrscht) werden kann, ist eine Bedrohung, wird bekämpft - aus Angst. Gleichzeitig wird Geschichte der Conquista nicht aufgearbeitet.

-         Die römische Kirche scheint eher ein Hindernis als ein Verbündeter auf dem Weg (u.a. des Widerstandes, als Alternative) im Kontext des Neoliberalismus (Globalisierung) zu sein - sie geht nicht von den Opfern aus, bzw. sie thematisiert dies nicht.

-         P. Suess: Die Kirche will nicht die Realität sehen, sie hat Angst vor dem „Anderen“, vor den Laien, vor den Frauen, vor der Realität (um sie nicht ändern zu müssen) und Angst, ihre Privilegien zu verlieren (auch Angst um die Rolle des Priesters).

-         „Kirchliche Neurose“: man malt sich die Realität entsprechend seiner jeweiligen Traumata aus.

-         Die Welt mit den Augen des „Anderen“ sehen (und der Opfer); wir sind keine (neutralen) Richter, sondern wir sind Teil (parteiisch) und stehen in einem bestimmtem Kontext.

-         CEHILA will Geschichtsforschung aus der Perspektive des Volkes, der Beherrschten (ohne Stimme) machen - im Unterschied zur „offiziellen“ Geschichtsschreibung.

-         Besonders die Frauen kamen und sprachen stets aus einer konkreten Praxis (vielleicht weil ihnen eine Uni-Karriere verbaut ist) heraus; keine Trennung Lehre - Praxis; Aktive (Handelnde, Akteure, Praxis) und „Gelehrte“ haben zumindest das gleiche Recht.

-         Das europäische Konzept in Theologie, Philosophie (u.a. dualistisch; entweder - oder; Verkündigung von abstrakt abgeleiteten Prinzipien etc, etc.) widerspricht völlig dem Leben und auch der Kosmovision der „Indígenas“.

-         Und: Eine Analyse ist nie neutral (gegen ein Grundaxiom europäischer Wissenschaft)

-         80% aller Ordensfrauen, die in LA in Pfarreien mitarbeiten, haben Probleme mit dem Pfarrer, weil sie (im Unterschied zum Pfarrer)  mit dem Volk sind (leben).

-         Juan Diego wird oft von offizieller Kirche missbraucht, um Kultur und Religion der Indígenas in das Christentum zu integrieren (u.a. ein Zeichen fehlenden Respekts).

-         Man kann nichts denken, ohne es zu tun (eigentliche Grundlage von Theologie, weil jedes Tun religiös begründet ist - zumindest bei den „Indios“)

 

Das Symposium in Cuernavaca bot die Gelegenheit, auf die Bedeutung von Partnerschaften gerade in schwierigen (kirchenpolitischen) Zeiten hinzuweisen, bzw. die Idee der Partnerschaft  auf lateinamerikanischer Ebene bekannter zu machen. So hatte z.B. die Diözese Riobamba in Ekuador mit Bischof Proaño (dem „Bischof der Indios“) seit den sechziger Jahre enge Kontakte zur Diözese Cajamarca, besonders intensiv war der Austausch mit der Pfarrei Bambamarca. Dammert und Proaño waren persönlich eng befreundet und beide hatten großen Einfluss auf die Dokumente in Medellín und Puebla. Nun berichteten zwei enge Mitarbeiter von Bischof Proaño, dass das Werk des Bischofs, z.B. auch seine Stiftung zugunsten der „Indios“ sowohl von seinem Nachfolger in Riobamba als auch der Mehrzahl der Bischöfe in Ekuador heftig bekämpft wird (alle Einrichtungen wurden geschlossen, Mitarbeiter entlassen, keine Arbeit mehr auf den Land und mit den Armen, usw.). Für die beiden Mitarbeiter des Bischofs war es völlig neu, dass z.B. deutsche Pfarreien dennoch direkt mit Campesinogemeinschaften ihre Partnerschaft fortführen und dies explizit als Kirche tun. Das heißt, dass die deutsche Kirche (in ihrer konkreten Gestalt deutscher Pfarreien) die gewachsenen christlichen Gemeinschaften als Kirche und Partner anerkennt - auch gegen den Willen des Ortsbischof. Eine solche Zusammenarbeit bestätigt die Campesinogemeinschaften als Kirche und gibt ihnen entsprechend Mut und Kraft. Ähnliche Erfahrungen wie in Riobamba wurden aus anderen Ländern berichtet (vor allem Mexiko, Brasilien und Nicaragua).  Ein Ergebnis:

Ausgestoßene christliche Basisgruppen können (u.a.) überleben, weil (und falls)

 

-         sie Solidarität von außen erfahren (von Kirche zu Kirche)

-         durch Rückbesinnung auf die eigenen Fundamente und das „Zeugnis der Propheten“.

 

Neben der Partnerschaft wurde es als wichtigste Aufgabe angesehen, an die Propheten (und das Konzil und Medellín) zu erinnern, sie zu vergegenwärtigen; denn sie zeigen den Weg für die Zukunft. Daher stieß der Vortrag über Dammert auf so großes Interesse. Gerade in Zeiten der scheinbaren Ausweglosigkeit (Beliebigkeit, Verengung, etc.) ist das Beispiel der Propheten „überlebenswichtig“. Das gilt umso mehr für die Basisgruppen in Cajamarca (und Riobamba und anderswo). Von der offiziellen Kirche in die Ecke gestellt, gibt ihnen das Werk und das Zeugnis von Dammert und seiner Mitarbeiter, speziell der Campesinos von Bambamarca (u.a.) große Hoffnung - dies umso mehr, je mehr sie darin Unterstützung und Solidarität auch von außen erfahren und nicht allein gelassen werden.

Der „Kreuzweg von Bambamarca“ stieß ebenso auf großes Interesse und man war überrascht, dass so etwas noch möglich ist. Vor allem hat die theologische Tiefe beeindruckt. In meinem Vortrag zitierte ich einen Abschnitt aus „Lasst uns den Weg weitergehen!“ (siehe Sammelband). Wie schon beim Geburtstagsfest Dammerts in Bambamarca (am 20 August 2002) wurde ich danach gebeten, den Volltext zu verteilen. Dieser Text wurde danach als einziger Volltext (und als Zeugnis der Campesinos) in das Schlussdokument aufgenommen, das an alle Teilnehmer sowie weitere Adressen verschickt wird. Der Text von Jesus Flores de la Loma wird auch in drei theologischen Zeitschriften abgedruckt werden (in Nicaragua, Mexiko und Ekuador). Die jeweiligen Chefredakteure waren anwesend, beeindruckt und baten um die Genehmigung zum Abdruck.

 

„Lasst und den Weg weiter gehen!“  - von Jesús Flores de La Loma, Bambamarca

Theologische Aufgaben (kurzfristig)

 

Bereits auf dem Priestertreffen (Fidei Donum) in Lima konnte ich feststellen, dass meine Begründung der Partnerschaft mit dem Hinweis auf deren sakramentales und ekklesiales Fundament (Partnerschaft als Sakrament einer weltweiten Kirche, der kath. Kirche etc.) auf großes Interesse und Verständnis stieß. In Cajamarca habe ich dasselbe festgestellt. In einem sehr langen Gespräch mit den drei Priestern Marco Arana, Panchito Centurión Segundo Alarcón (alle Cajamarca), die alle drei der Partnerschaft eher skeptisch gegenüber stehen, konnte ich dieses Fundament erklären. Die drei Priester haben mir gesagt, dass sie zum ersten Mal die eigentliche Bedeutung (auch das Potenzial und die Notwendigkeit) von Partnerschaft in der Art gehört und begriffen hätten.

Umso mehr verwundert es mich, dass dieser Gedanke in der Theologie nicht aufgegriffen wird (besser: ich habe nichts davon gehört). Dazu müsste man ja auch erst einmal den Sammelband einigen Theologen bekannt und schmackhaft machen. Ich halte die „Katechese“ der Partnerschaft und deren tiefere Bedeutung (Sakrament, Weltkirche) für „überlebenswichtig“.

 

Als weiteren - bzw. als eigentlich Schwerpunkt heutiger Theologie - ( gerade in Deutschland, innerhalb der „reichsten Kirche“ mit den meisten Privilegien) möchte ich das Thema Globalisierung im Sinne von „Götzendienst“, Spaltung der Menschheit (als „Tod - Sünde“) und einer „Option für die Armen“ (Opfer) nennen. Doch davon höre ich hier kaum etwas (von wem auch und mit welcher Kompetenz ?? ). In Cuernavaca war dies dagegen ein ständiges Thema.

 

Neben dem Bild von der Partnerschaft als „Sakrament der Weltkirche“ möchte ich noch folgende konkrete Aufgabe (für eine Theologie im Dienste des Volkes Gottes) oder Impulse nennen bzw. auf zentrale Aufgaben der hiesigen Partnergruppen hinweisen:

 

-         die Frage der bischöflichen (!) Hilfswerke muss angegangen werden.

-         die Frage nach den Strukturen in den einzelnen Diözesen (Referat Weltkirche, Seelsorgereferat etc.) und deren Dienstleistungen für Gemeindepartnerschaften  - im Sinne einer Katechese des Glaubens für die Gemeinden hier.

-         Eine offensive Auseinandersetzung mit der „Theologie“ von Bischof Simón (und anderen Bischöfen), mit den immer mehr und aggressiver auftretenden fundamentalistischen Strömungen in Lateinamerika (Sodalitium, Neukatechumenat, Opus, manche Pfingstkirchen, etc.) - deren Denunzierung als antievangelisch (antibiblisch) und letztlich auch antikirchlich (und damit „tödlich“ für die „Gemeinschaft Jesu“.

-         Stärkung der einzelnen Gruppen in Cajamarca, deren Initiativen und deren Zusammenschlüsse (Voraussetzung: die Wahrnehmung der Bedürfnisse...)

-         Offener Dialog innerhalb der Partnergruppen und Gemeinden über eigene Limitationen, Fehler und (Betriebs-) Blindheit. Bisherige Strukturen der Kommunikation müssen auf den Prüfstand (innerhalb der Gruppen und mit Cajamarca)

-         Eventuelle Plattform (Gedankenaustausch, konkrete Maßnahmen etc.) von Initiativen und Gruppen in Deutschland mit ähnlichen Erfahrungen (z.B. Riobamba, Puno, einige Gemeinden in Brasilien (Recife)....

-         Symposium über Partnerschaft, Kräfte organisieren und zusammenführen (hierzulande gibt es viele „Profis“, Theologen, eine überdimensionale Infrastruktur, sehr viel Geld) - im Dienste der Armen: dies wäre eine echte (und nicht nur theoretische) Option für die Armen - und ohne diese gibt es keine Kirche Jesu. Dies muss absolute Priorität haben und muss von der Theologie vorbereitet werden. Durch unser Versagen werden immer mehr Arme zum Spielball der Ciprianis und Simóns (und gerade damit erst recht zum Spielball wirtschaftlicher Interessen)

  Willi Knecht       im Advent 2002



[1] Aus Anlass von 30 Jahren Medellín wurde in Deutschland von Johannes Meier als Herausgeber ein Buch mit den Lebensbildern von zwölf Bischöfen herausgebracht: „Die Armen zuerst“ - 12 Lebensbilder lateinamerikanischer Bischöfe“, Grünewald, 1999. Einer der zwölf Bischöfe ist Bischof Dammert, über den ich einen Beitrag zu dem genannten Buch schrieb (mit H. Heidenreich als Co-Autor). Diese Auswahl der Bischöfe ist nicht identisch mit der Auswahl von CEHILA, aber es gibt zahlreiche Überschneidungen.