Aufstand im
Armenhaus: Das Ringen um Rohstoffe
bringt ein Land durcheinander
In Bolivien findet derzeit ein Ringen um Rohstoffe statt, das das Land zu zerreißen
droht. Es wird gestreikt, fast überall gibt es Blockaden und reiche Provinzen
wollen nicht mehr mit den armen teilen. Die Regierung gilt als gescheitert, von
Bürgerkrieg ist die Rede.
SANDRA WEISS, LA PAZ (Südwestpresse vom
8.6.05)
"Ich will kein Hindernis sein." Mit dieser Begründung hat Interims-Präsident
Carlos Mesa gestern als Ausweg aus der seit Monaten schwelenden Staatskrise in
Bolivien seinen Rücktritt angeboten. In dem Andenland hat das neue
Energiegesetz Massenproteste ausgelöst. Es geht um die Kontrolle über die
Rohstoffe, und wer von ihnen profitiert.
Die Indigenas aus dem Hochland, die 60 Prozent der Bevölkerung ausmachen und zu
den Ärmsten gehören, fordern mehr politische und wirtschaftliche Teilhabe. Ihre
Hauptforderung ist die Einberufung einer verfassungsgebenden Versammlung, um
dem unregierbaren Andenstaat ein neues Fundament zu geben. Die reiche,
hellhäutige Oberschicht aus dem Tiefland um Santa Cruz im Osten, wo sich das
meiste Erdgas und Öl befindet, fordert dagegen Autonomie, um ihrerseits die Bodenschätze
besser kontrollieren und den rebellierenden Indios entziehen zu können.
Der Konflikt schwelt seit langem in Bolivien, hat sich aber zuletzt zugespitzt.
2003 wurde Präsident Gonzalo Sanchez de Lozada deshalb gestürzt. Sein Vize
Mesa, ein populärer, parteiloser Historiker, übernahm die Amtsgeschäfte, wurde
aber - weil ohne politische Basis - zwischen den Fronten aufgerieben. Der
51-Jährige traf seine Entscheidung zum Rücktritt nach einem Treffen mit seinem
Kabinett und der Militärführung, die beunruhigt ist, die sozialen Proteste
könnten sich ausweiten und verschärfen.
Am Montag, den 7. Juni 2005, hatten 80 000 Demonstranten den Präsidentensitz in
La Paz belagert und die Verstaatlichung der Rohstoffe gefordert. Ein Versuch
der Kirche, die Lage zu beruhigen, blieb ohne Erfolg. Ob der Kongress Mesas Rücktritt
annehmen wird, ist noch offen. Die rechten Traditionsparteien, die der Elite
aus Santa Cruz nahe stehen, hatten dies zwar gefordert. Zurückhaltend reagiert
bisher aber noch der Oppositionsführer und Fürsprecher der Indigenas, Evo
Morales. Grund dafür ist, dass der Staatschef seinen Forderungen bisher
aufgeschlossen gegenüberstand, bei Mesas Rücktritt aber der Senatspräsident die
Amtsgeschäfte übernehmen würde - und der ist ein Vertreter der Oligarchie aus
Santa Cruz. Morales verlangt deshalb, dass auch Senats- und der Parlamentspräsident
zurücktreten, damit der Chef des Obersten Gerichtshofes die Amtsgeschäfte
übernehmen und rasch Neuwahlen anberaumen kann. Eine Lösung, die auch der
politische Analyst Jorge Lazarte für sinnvoll hält.
Generalstreik in La Paz
"So lange es keine Gerechtigkeit gibt, werden weiter Arme gegen Reiche kämpfen",
sagte Morales gestern. Als Mesa vor drei Monaten schon einmal seinen Rücktritt
angeboten hatte, lehnte der Kongress dies ab. Sollte das Parlament auch jetzt
wieder Nein sagen, droht der Morales nahe stehende oppositionelle Abgeordnete
Edgar Segarra mit Bürgerkrieg für den Fall, dass der verhasste Senatspräsident
die Staatsgeschäfte übernehmen sollte.
Selbst wenn der Kongress am Dienstag den Rücktritt akzeptieren und eine für alle
Seiten annehmbare Respektsperson Präsident würde, wäre die Krise höchstens
entschärft, aber nicht beigelegt. Denn der Konflikt darüber, was mit den
Bodenschätzen passiert und wie es mit dem Land weitergeht, dauert an. In der
seit Wochen belagerten Hochlandmetropole La Paz soll nächste Woche ein
Generalstreik stattfinden. Morales hat gedroht, seine Leute würden Raffinerien
und Erdgasfelder besetzen, um sicherzustellen, dass das Volk die Bodenschätze
kontrolliere.
Bolivien verfügt nach Venezuela über die zweitgrößten Erdgas-Reserven in Lateinamerika
sowie über große Vorkommen an Zink und Gold. Zugleich ist es aber das Armenhaus
Südamerikas. Anfang Mai hatte der Kongress ein neues Energiegesetz
verabschiedet, wonach die internationalen Unternehmen zu den 18 Prozent
Lizenzgebühren auch noch 32 Prozent Steuern zahlen müssen. Während den
Ureinwohnern das Gesetz nicht weit genug geht, drohen die Unternehmen mit
Abwanderung und Klagen. Hintergrund der Proteste ist die ungleiche Verteilung
des Reichtums und der Einkünfte in Bolivien. Seit der spanischen Eroberung
wurden die Ressourcen geplündert und verhalfen nur einer kleinen hellhäutigen
Oberschicht zu legendärem Reichtum. Die Mehrheit lebt weiter in bitterer Armut.
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Zur Person: Evo Morales -Staatsfeind und Held GERHARD
DILGER, EPD
Viele sehen in ihm den kommenden Präsidenten: Oppositionschef Evo Morales, ein
ehemaliger Kokabauer, spielt in der Krise Boliviens eine Schlüsselrolle. Für
das Establishment ist Evo Morales der Staatsfeind Nummer eins: Kokabauer,
Indio, Marxist, Gewerkschafter, notorischer Blockierer und Aufrührer. Für die
verarmten Indios, die in Bolivien die Mehrheit stellen, ist er ein
Hoffnungsträger.
Geboren am 26. Oktober 1959 in einem bitterarmen Dorf der südlichen Provinz Oruro,
musste Morales die weiterführende Schule abbrechen. Spanisch spricht er bis
heute nur schlecht. 1982 kostete ihm eine Hungersnot im Hochland fast das
Leben. Er floh ins subtropische Tiefland Chapare. 40 000 Familien leben dort
vom illegalen Verkauf der Kokablätter, die den Grundstoff für die Herstellung
von Kokain liefern.
Lange hat der hoch gewachsene Aymara-Indianer dem parteilosen Präsidenten Carlos
Mesa den Rücken freigehalten. Doch als Mesa sich weigerte, ausländische Erdöl-
und Erdgasfirmen stärker zu besteuern, wandte sich Morales von ihm ab und
suchte den Schulterschluss mit anderen Anführern der indianischen
Basisbewegungen. Von links wird Morales immer wieder als Verräter bezeichnet,
weil er - anders als viele - eine Enteignung der ausländischen
Rohstoff-Konzerne ablehnt: "Wir wollen nur, dass unser Reichtum gerecht
geteilt wird."
Seit seinem Überraschungserfolg von 2002, als er bei der Präsidentenwahl nur
knapp geschlagen wurde, arbeitet Morales beharrlich an seinem Ziel, über Wahlen
an die Macht zu gelangen. Aus seiner Bewunderung für Fidel Castro, aber auch
für linke Populisten wie Hugo Chavez in Venezuela und Luiz Inacio Lula da Silva
in Brasilien macht er keinen Hehl. "Uns ist es zu verdanken, dass es in
Bolivien keine Guerillabewegung gibt", sagt er über seine Partei. Doch für
die US-Regierung und viele konservative Bolivianer bleibt er ein rotes Tuch.
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WASSER: Deutsche
in der Kritik - GERHARD DILGER, EPD
In Bolivien gibt es nicht nur Streit um Erdgas. Protestiert wird auch gegen die
Privatisierung des Wassernetzes, bei der deutsche Helfer eine zentrale Rolle
spielen.
Die Türen sind
verrammelt, die Fenster mit Kartons verkleidet: In der bolivianischen
Minenstadt Llallagua haben Bürger die Verwaltung des Wasserwerks lahm gelegt. Sie
befürchten, dass ein von Deutschland gefördertes Projekt einer Privatisierung
der Wasserversorgung den Weg ebnet. In der Kritik steht die deutsche
Gesellschaft für technische Zusammenarbeit (GTZ). Sie ist seit 27 Jahren im
Land und spielt bei der Reform der Wassergesetzgebung eine wichtige Rolle. In
Llallagua, einer Stadt mit 40 000 Einwohnern, will die GTZ durch eine "gemischte
Aktiengesellschaft" eine effiziente Wasserversorgung sicherstellen: 30
Prozent der Anteile bleiben im Besitz der Kommune, 70 Prozent werden verteilt -
jeder erwachsene Stadtbürger soll Teilhaber werden. Für dieses Modell stellte
die deutsche Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) ein nicht rückzahlbares Darlehen
von 8,6 Millionen Euro in Aussicht. Rosario Paco vom Stadtteilkomitee Llallagua
fürchtet jedoch, dass Privatfirmen die Anteile der Bevölkerung aufkaufen
könnten. In der Folge würde das Wasser deutlich teurer. "Das ist
unwahrscheinlich", entgegnet GTZ-Mitarbeiterin Cornelia Gerhardt und
versichert: "Durch eine wirkliche Bürgerbeteiligung wird die soziale
Kontrolle garantiert."
Kredit auf Eis gelegt
Viele Einwohner beklagen indes Vetternwirtschaft und fehlende Transparenz. Drei
Jahre nach Vertragsunterzeichnung haben die Bauarbeiten noch nicht begonnen. Wie
eh und je gibt es nur an jedem zweiten Tag für ein paar Stunden Wasser, das
abgekocht werden muss.
Der Streit in Llallagua ist nicht der einzige Konflikt um Wasser, in dem deutsche
Hilfe eine Rolle spielt. Auch in El Alto nahe La Paz sind die Gemüter erhitzt. Als
Boliviens Regierung Anfang des Jahres beschloss, dem französischen Unternehmen
Suez die Zuständigkeit für die städtische Wasserversorgung zu entziehen, mahnte
die deutsche Botschaft kritisch Rechtssicherheit für Investoren an. Die KfW
legte daraufhin einen Zehn-Millionen-Euro-Kredit für den Ausbau des Netzes, den
sie kurz zuvor in Aussicht gestellt hatte, auf Eis.