Wieder Ärger ums Wasser
Die deutsche Entwicklungszusammenarbeit als Vorhut der Privatisierung
in Bolivien
Im Jahr 2000 sorgte der „Wasserkrieg“ in Cochabamba
international für Furore. Damals musste sich der US-Konzern Bechtel
den Protesten und Blockaden der Bevölkerung beugen. Im Januar dieses Jahres gab
es ein ähnliches Szenario, diesmal in El Alto und der
Hauptstadt La Paz. Auf Druck der Bevölkerung kündigte Präsident Carlos Mesa
höchstpersönlich die Beendigung des Vertrag mit dem Konzern Aguas
de Illimani an, einer Tochterfirma des französischen Wassermultis Suez Lyonnaise des
Eaux. Dieser hatte die Anschlussgebühren für Wasser und Abwasser beträchtlich
angehoben, die Tarife an den US-Dollar gekoppelt und verstieß zudem gegen zahlreiche
Vertragsverpflichtungen (vgl. ila 284). Die
bolivianische Regierung und die Bevölkerung waren auf dem besten Weg, ein neues
Betreibermodell zu elaborieren, wäre da nicht die
internationale Kooperation einschließlich Weltbank und GTZ (Deutsche Gesellschaft
für Technische Zusammenarbeit) auf den Plan getreten. Seitdem gibt es heftige
Auseinandersetzungen um die verschiedenen Vorstellungen einer Gewährleistung
der Wasserversorgung. Omar Fernández, Vertreter der nationalen Koordination des
Verbandes der Trinkwasser- und Bewässerungssysteme (Asociación
de los Sistemas de Agua Potable
y de Riego), kam während seines Europaaufenthaltes
Anfang April zu einem Meinungsaustausch mit dem BMZ (Bundesministerium für
wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung) nach Deutschland. Wir nutzten
die Gelegenheit zu einem Interview über die Rolle der deutschen
„Entwicklungszusammenarbeit“ in Bolivien.
Herr Fernández, können Sie uns kurz die hauptsächlichen Ziele Ihrer
Organisation erläutern?
Nach den Protesten in Cochabamba im April 2000 musste
das Unternehmen Aguas del Tunari,
eine Aktiengesellschaft der internationalen Konsortien Bechtel,
Edison und Aguas del Abengoa,
das Land verlassen. Die Bevölkerung Cochabambas hatte
Tariferhöhungen um 45 Prozent hinnehmen müssen, einige Wirtschaftszweige sogar
bis zu 300 Prozent. Zudem bemächtigte sich der Konzern der Wasserressourcen,
die sich vorher als Gemeineigentum in Obhut der Wasserkomitees befanden.
Deshalb gründeten wir unsere Vereinigung, die sich im November 2004 auch auf
nationaler Ebene organisierte. Unsere Arbeit konzentriert sich darauf, die
Bräuche und Gewohnheiten der Wasserbewirtschaftung, die Teil unserer Kultur als
Nachfahren der Inka sind, zu bewahren. Historisch gesehen haben die Völker
Boliviens verschiedene Formen der Wassernutzung entwickelt, die es zu
verteidigen und auszubauen gilt.
Die internationalen Konzerne verlangten nach ihrer Vertreibung aus Cochabamba finanzielle Entschädigungszahlungen. Wie ist der
momentane Stand der Verhandlungen?
Nach dem Rauswurf von Bechtel leitete der Konzern ein
Gerichtsverfahren beim Centro Internacional
de Resolución de Controversas
de Inversión (Schiedsgericht für internationale Investitionsangelegenheiten), einem verlängerten Arm der
Weltbank, gegen den bolivianischen Staat ein. Aufgrund zahlreicher
internationaler Kampagnen zog Bechtel aus Angst vor
Rufschädigung seine Klage zurück. Die spanische Firma Abengoa
jedoch stellt weiterhin 25 Millionen US-Dollar Schadenersatzforderungen als
Entschädigung für die Gewinnerwartungen der vertraglich festgelegten 40 Jahre.
Allerdings ergibt diese Forderung wenig Sinn, da kaum nennenswerte
Investitionen getätigt wurden. Außerdem hat der Konzern einen Konflikt
provoziert, der schließlich Todesopfer forderte. Wenn also jemand berechtigt
ist, Entschädigungen zu fordern, dann sollten wir das sein, die Betroffenen.
Wie funktioniert derzeit die Wasserversorgung in Cochabamba?
Nach dem Wasserkrieg haben die Bauern- und indigenen Gemeinschaften
entschieden, die Trinkwasser- und Bewässerungssysteme dem Wesen nach
gemeinschaftlich und sozial zu organisieren. In Cochabamba
haben wir beispielsweise beschlossen, dass es eine öffentlich-soziale
Betreibergemeinschaft geben soll. Wir sind gerade dabei, die Firma neu
aufzubauen, die im Besitz der Gemeinde und auch in den Händen der Bevölkerung
bleiben soll. Wir glauben, dass die Partizipation der Gesellschaft für die
Bereitstellung eines guten Services und das Aushandeln gerechter Tarife von
besonderer Bedeutung ist.
Was ist der Beweggrund Ihrer Reise durch Europa?
Ich versuche, Kontakt zu verschiedenen sozialen Organisationen,
Parlamentsabgeordneten usw. aufzunehmen, um den internationalen Druck zu
verstärken. In einem Brief mit zahlreichen UnterzeichnerInnen
(mehr als 600 Personen und mehr als 200 Organisationen) fordern wir die
spanische Regierung und die Firma Abengoa auf, ihre
Forderungen zurückziehen. Außerdem wollen wir der spanischen Regierung klar
machen, dass ein spanischer Konzern keine Forderungen an Bolivien stellen kann.
Spanien und Europa schulden dem Land Bolivien eine Menge, da sie über Jahre
unsere Ressourcen ausgebeutet haben, die die Entwicklung in Spanien und Europa
wesentlich voran brachten. Deshalb ist es unverantwortlich, dass ein armes Land
wie Bolivien mit einer immens hohen Auslandsverschuldung mit 25 Millionen
US-Dollar belastet werden soll. So wird ein weiterer Beitrag zur Verschärfung
der Armut geleistet.
Sie waren auch auf dem Alternativen Weltwasserforum vom 17. bis zum 20. März
in Genf. Was waren die Ergebnisse dieses Forums?
Auf diesem Alternativen Weltwasserforum wurde eine Erklärung mit vier
fundamentalen Prinzipien verabschiedet: Der Zugang zu Wasser als ein
Menschenrecht, das Wasser als ein öffentliches Gemeingut, Finanzierung und
Investitionen durch die öffentliche Hand und die Demokratisierung und
Mitbestimmung der BürgerInnen bei der Wasserpolitik.
Zusätzlich konnten wir durch die Partizipation zahlreicher Organisationen, die
sich ebenfalls für das Recht auf Wasser für alle einsetzen, verschiedene
Aktionsformen und Erfahrungen anderer Länder kennen lernen. Zum Beispiel die
Erfahrung Uruguays, wo die Menschen in einem Plebiszit mit großer Mehrheit für
die Anerkennung des Wassers als ein öffentliches Gut stimmten. Organisationen
aus Afrika berichteten darüber, wie die Privatisierung des Wassers dort viele
Menschen von der Versorgung ausschließt. Das hauptsächliche Ziel der Konzerne
ist die Gewinnmaximierung und nicht die Dienstleistung für die Bevölkerung.
Daher kam es auch in Afrika zu zahlreichen Protesten, die sich gegen die
Privatisierung richteten.
Was ist das Ziel Ihres Besuches in Deutschland?
Nach Deutschland bin ich wegen eines speziellen Falles gekommen. Wir haben in
Bolivien bezüglich des Wassers einen Vorschlag ausgearbeitet, um die
sozial-öffentlichen Betreibergemeinschaften zu stärken. Die bolivianische
Regierung machte ebenfalls einen Vorschlag, der sich in insgesamt 50 Punkten
von dem unsrigen unterschied. Um diese Differenzen zu einem Konsens zu bringen,
initiierten wir 2001 einen Marsch von Cochabamba nach
La Paz. In 14 Tagen legten wir 400 Kilometer zu Fuß zurück, um uns mit der
Regierung an einen gemeinsamen Verhandlungstisch zu setzen. In 38 Punkten
wurden wir uns einig und die Regierung verpflichtete sich dazu, eine
Gesetzesverordnung über das Trinkwasser zu erlassen. Einige Monate später
verabschiedete sie jedoch den Vorschlag der deutschen GTZ und nicht die
Vereinbarung, auf die wir uns geeinigt hatten. Deshalb meinen wir, dass wir im
Prinzip nicht mit der bolivianischen Regierung hätten verhandeln müssen,
sondern mit der GTZ. Sie hat einen immensen Einfluss auf die Politik rund um
den Aufbau des Trinkwasser- und Abwassersystems.
Die GTZ beurteilt das neue öffentlich-soziale Betreibermodell in Cochabamba als ineffizient und nicht tragfähig. Wir haben
lange darüber diskutiert, welche Verwaltungsform die beste ist, aber für die
GTZ drückt sich Effizienz lediglich in wirtschaftlichen Begriffen aus,
wohingegen für uns ebenso gemeinschaftliche und soziale Werte eine Rolle
spielen. Sie hat eine sehr monetaristische Sichtweise und sagt die Finanzierung
nur zu, wenn die Firmen als gemischte öffentlich-private Unternehmen aufgebaut
werden. Sie diktiert uns, dass wir unser soziales und gemeinschaftliches Modell
aufgeben und es stattdessen gegen ihr Modell tauschen. Dies bedeutet, dass wir
uns in die Industrie- und Handelskammer eintragen lassen müssten und somit
einen anderen Rechtsstatus erhielten. Schließlich müssten wir das Wasser in
Abhängigkeit der Vorschriften des Handelsgesetzbuches behandeln. Praktisch
heißt das, das Wasser zu privatisieren.
In Bolivien haben wir uns bereits mit den höchsten VertreterInnen
der GTZ getroffen und haben die gesamte Problematik erläutert. Wir haben sie
gebeten, die Gesetze Boliviens zu achten und die vorhandenen Betreibermodelle
zu respektieren. Was die GTZ vorhat, ist illegal, da gemischte
öffentlich-private Unternehmen in den Gemeinden gegen unser Gesetz verstoßen.
Das haben wir in Bolivien bekannt gemacht und haben Briefe nach Deutschland
gesandt, mit dem Ergebnis, dass drei parlamentarische VertreterInnen
nach Bolivien kamen. Jeweils eine/r von den Grünen, von der SPD und der CDU.
Wir haben ihnen die Problematik erläutert, aber wie man sieht, gab es einen
radikalen Einstellungswandel in der GTZ in den letzten Monaten seit Januar.
Deswegen bin ich hier, um sie zu bitten, dass sie ihre Einstellung ändern und
uns keine Politik der Privatisierung aufzwingen mögen.
Was wird passieren, wenn die Gespräche nicht zu einer gemeinsamen Lösung
führen werden?
Es gab in den letzten Gemeindeversammlungen zahlreiche Stimmen, die direkte
Aktionen gegen die GTZ gefordert haben. Uns scheint dies jedoch nicht die
angemessene Lösung zu sein. Wir glauben an eine Verständigung, so dass sie
unsere Modelle respektieren und akzeptieren.
Haben die momentanen Ereignisse in La Paz und El Alto
mit demselben Problem zu tun oder hatten die Proteste andere Ursachen?
Die Proteste in La Paz und El Alto richteten sich
gegen den französischen Konzern Suez, der aufgrund der Erhöhung der Anschlussgebühren
einen großen Teil der BewohnerInnen von dem Recht auf
Wasser ausschloss. Außerdem wurden Viertel von der Versorgung abgeschnitten,
die nach Meinung des Konzerns nicht rentabel genug waren. Die Proteste führten
schließlich dazu, dass der Präsident Carlos Mesa den Vertrag mit dem
französischen Konzern kündigte. Er sagte daraufhin öffentlich, dass der Konzern
das Land verlassen müsse. Aber im März veröffentlichte die deutsche Botschaft
eine Erklärung, in der sie Forderungen stellte und klar machte, dass der
französische Konzern das Land nicht verlassen und mit 35 Prozent am neuen
Konzern in Form einer öffentlich-privaten Partnerschaft beteiligt werden
sollte. Andernfalls würde die GTZ ihre Unterstützung für den Aufbau der
Wasserversorgung in La Paz als auch für El Alto
aufkündigen. Das ist eine Erpressung, die im Widerspruch zu der vom Präsidenten
im Januar abgegebenen Regierungserklärung steht. Wir fragen uns also, wer in
Bolivien überhaupt regiert. Ist es der Präsident oder die Internationale
Entwicklungszusammenarbeit?
Mir erscheint es ziemlich merkwürdig, warum sich die deutsche
Entwicklungszusammenarbeit für einen französischen Konzern engagiert. Wie
erklären Sie diese Tatsache?
Wir vermuten, dass die deutsche Kooperation im Sinne einer internationalen
Wasserpolitik handelt. Es ist ein Engagement, das den Prozess der
Wasserprivatisierung weiter voranbringt. Ich sage das deshalb, weil führende MinisterInnen und PolitikerInnen
aller Länder auf dem zweiten Weltwasserforum beschlossen haben, das Wasser zu
privatisieren. Es ist also eine internationale politische Richtlinie. In
Bolivien ist es die GTZ, die diese Vorgaben in die Tat umsetzt und forciert. Im
Endeffekt legen die bilateralen Abkommen zwischen Bolivien und Deutschland, die
angeblich auf Kooperation und Unterstützung beruhen, Verwaltungsmodelle fest,
die begünstigen, dass sich die internationalen Konsortien der Wasserversorgung
bemächtigen. Das ist unsere Schlussfolgerung daraus.
Das Interview führte Andreas Hetzer Anfang April in Bonn
P.S. Schriftlich teilte uns Omar Fernández später mit, dass das Treffen
mit den VertreterInnen von BMZ, der GTZ und der KfW
(Kreditanstalt für Wiederaufbau) keine neuen Ergebnisse brachte. Die deutsche
Seite halte starr an ihrer Politik und ihrem Verwaltungsmodell fest. Sie
betonte, dass sie sich nicht in die inneren Angelegenheiten Boliviens einmische
und lediglich Beratungsfunktionen wahrnehme. Nach seiner Rückkehr nach Bolivien
brach in Llallagua ein neuer Konflikt aus, in dem
Nachbarschaftsräte nach zahlreichen Vertragsbrüchen die Wasserwerke besetzten.
Die Betreibergesellschaft wurde von der GTZ ins Leben gerufen und folgte dem
Modell einer öffentlich-privaten Partnerschaft. Ein Ende des Konflikts ist
demnach nicht abzusehen. Siehe: www.elaguaesnuestra.tk/
Quelle: ila 285, Mai 2005