"Denn wir sind Nachfolger von einigen armen Fischern aus Galiläa"

Die Globalisierung im Licht des Zweiten Vatikanischen Konzils

Elmar Klinger, Willi Knecht, Ottmar Fuchs (Hgg)
Die globale Verantwortung. Partnerschaften zwischen Pfarreien in Deutschland und Peru.

Würzburg (Echter) 2001. 272 Seiten.


Zunächst handelt das Buch von Bischof José Dammert, einem der maßgeblichen Bischöfe Lateinamerikas während der Blütezeit der Theologie der Befreiung, jahrelang Vorsitzender der peruanischen Bischofskonferenz. Bischof von Cajamarca war er von 1962 bis 1992. Als er (aus Altersgründen) zurücktrat, entstand ein Vakuum: "Zur Zeit Dammerts waren der Bischof (und das Bischofshaus, Obispado) das absolute Zentrum, um das alle Mitarbeiter und Gruppen wie Satelliten kreisten" (255).

"Gerade neu als Bischof nach Cajamarca gekommen, wird Pepe (alle Freunde nannten ihn so, Red.) von der Initiative des damaligen Senators (der zu den reichsten Familien der Stadt gehörte) des Departements Cajamarca überrascht, von der Regierung eine Million Soles zu erbitten, um die Kathedrale von Cajamarca zu erneuern und auszuschmücken. Pepe schreibt ihm von Rom aus, wo er an der ersten Sitzungsperiode des Zweiten Vatikanischen Konzils teilnimmt, dass es nach seinen Kriterien andere Prioritäten gibt. Was die kirchlichen Gebäude betrifft, so gibt es in den Randzonen der Stadt einige Pfarreien, die nicht wissen, wie und wo sie die Gläubigen adäquat betreuen können. Außerdem - und vor allem - hält der Bischof 'einige andere Werke für so dringlich, dass sie einer sofortigen Lösung bedürfen' - und er zählt auf:

'Das Gefängnis (zur Zeit eher einem Schweinestall gleich), die Kanalisierung des Flusses San Lucas, dessen vom Schmutz schwarz gefärbtes Wasser die Gesundheit der Bevölkerung gefährdet, die Inbetriebnahme des neuen Zentralkrankenhauses, die Errichtung von Wasser- und Abwasserkanälen' - und die Liste geht weiter. Der Grund für diese 'Umkehr' der bisher üblichen Werte und Maßstäbe liege darin, dass der Heilige Paulus uns daran erinnert, dass wir alle 'einTempel des Heiligen Geistes' sind. Der Tempel der Kathedrale ... ist daher im Vergleich zu den ungeheuren Bedürfnissen der Armen und angesichts der unmenschlichen Zustände, in denen sie leben, von nachrangiger Bedeutung. 'Ich glaube, wir dürfen keinen Moment schwanken' (Dammert)". (12).

Pastoral ist Sozialpastoral

Dammert ist der Bischof, der Pastoral und Sozialarbeit nicht trennen will; im Mittelpunkt seiner dreißig Bischofsjahre stand nie andere als die Campesinos, die "über Jahrhunderte sozial an den Rand gedrückt wurden... Opfer des Vergessens und unzähliger Plagen ... 'Vamos Caminando', ('Machen wir uns auf den Weg'), das Glaubensbuch des José Dammert, das außergewöhnliche Arbeitsbuch in der Hand der Katecheten" (13) ist weltweit bekannt geworden.

Selbstverständlich mag der Bischof Dammert keine Privilegien, keine Titel, keinen Bischofspalast, keine Insignien; seine Nähe und alltägliche Erreichbarkeit für die Campesinos wurden sprichwörtlich. Etwa vierzig Priester arbeiteten in der Diözese Cajamarca (900 000 Katholiken) und maximal einhundert Ordensschwestern, aber "über vierhundert gut ausgebildete und in ihrer jeweiligen Comunidad verwurzelte Katecheten (etwa 10 % Frauen). Diese Katecheten , von ihrer Comunidad mit ausgewählt, bildeten die Basis einer 'Kirche mit Poncho und Sombrero' ... (31) Als in Lateinamerika die Impulse des Zweiten Vatikanischen Konzils umgesetzt wurden, war Dammert einer der Wortführer. Er hat die Beschlüsse der Bischofskonferenzen von Medellin (1968) und Puebla (1979) mit verfasst. "Keine Diözese in Peru hat mit mehr Mut versucht, den Geist des Zweiten Vatikanischen Konzils, die Beschlüsse von Medellin und die Erklärungen der peruanischen Bischofskonferenz Wirklichkeit werden zu lassen (43f). Aber nach Dammerts Rücktritt war ganz plötzlich damit Schluss. Sein Nachfolger hieß Simòn.

"... wir lassen uns nicht noch einmal unterwerfen"

Als Bischof Simòn "zum ersten Mal im Januar 1993 nach Bambamarca kam und sagte, dass er gekommen sei, um mit all diesen 'Schweinereien' der letzten dreißig Jahre aufzuräumen, erhob sich ein alter Katechet und antwortete ihm:'Mehr als 400 Jahre haben uns die Spanier unterdrückt. In den letzten dreißig Jahren haben wir jedoch entdeckt, wer wir sind und dass wir Kirche sind. Und wenn jetzt wieder ein Spanier kommt und uns all dies wegnehmen will, wird es ihm nicht gelingen, denn wir lassen uns nicht noch einmal unterwerfen'. Und alle versammelten zweihundert Katecheten stimmten das Lied aus Vamos Caminando an: 'Man kann das Licht nicht beerdigen'." (40).

Dammert, zur Kirchenbürokratie:

"Sehr schnell wollen wir (Kleriker) uns vergleichen mit staatlichen Stellen und Büros, durch eine Multiplizierung der Versammlungen und der Reisen, ohne deren tatsächliche Wichtigkeit zu evaluieren ... Wir geben den Anschein, reich zu sein... aber in Wirklichkeit sind wir arm, wenn wir die bischöfliche Würde mit sozialem Prestige oder äußerem Pomp verwechseln. Denn wir sind Nachfolger von einigen armen Fischern aus Galiläa" (51).

Dammert, zum kirchlichen Zentralismus:

"Es war ein Fehler, Bewegungen aus Europa zu übertragen, die sich zu sehr auf die Gegenwart des Priesters konzentrieren ... und nicht auf der Dringlichkeit, den Laien eine eigene Verantwortung einzuräumen, zu bestehen... Aus Angst vor möglichen Fehlern fiel man in einen klerikalen, nicht praktikablen Zentralismus" (56)

Dammert, christliche Erneuerung und Soziales Leben:

Es gibt "keine wahrhaftige Erneuerung des christlichen Lebens ohne eine Verbesserung der menschlichen Lebensbedingungen... Jedes menschliche Wesen hat das Recht auf Existenz, auf physische Unversehrtheit, auf die Mittel, die für ein Leben in Würde unentbehrlich und ausreichend sind, im besonderen in Bezug auf Ernährung, Kleidung und Wohnung, auf Freizeit, auf ärztliche Betreuung und auf die notwendigen sozialen Hilfsdienste" (59).

Ein Kapitel ist der traditionellen (seit der Zerstörung des Inkareiches durch Pisarro) und gegenwärtigen wirtschaftlichen und sozialen Ausbeutung gewidmet ("Multis, Markt und Dritte Welt"), unter den Multis spielt Nestlé eine unrühmliche Rolle; produziert wird für den Markt, nicht für die Bedürfnisse der einheimischen Bevölkerung.

Am Beispiel des Staudammprojekts Gallito Ciego - mit deutschen Entwicklungsgeldern finanziert - wird die Wehrlosigkeit und Ohnmacht der Campesinos und ihres Bischofs Dammert, der katholischen Gemeinden in Cajamarca und in Deutschland (in diesem Falle die außerordentlich engagierten Gruppen in Herzogenaurach) sichtbar, gegen die Überflutung ganzer Dörfer, die entschädigungslose Vertreibung hunderter Familien, die ökologische Verwüstung von Feldern und Tälern, die geringen Chancen zur Wiederansiedlung der Landlosen usw.

Entwicklungshilfe heißt jetzt Partnerschaft,

denn es genügen nicht mehr der eine oder andere Spendensonntag im Kirchenjahr für Misereor und Adveniat,

Menschen müssen sich möglichst persönlich kennen, die, die helfen und die, die um Hilfe bitten. Sie müssen sich möglichst gegenseitig (!) besuchen.

Partnerschaft mit einer Gemeinde in der Dritten Welt ist zweiseitig: das Geben und Nehmen und Voneinanderlernen öffnet die Augen für die soziale und politische Realität - auf beiden Seiten des Ozeans, für die Strukturen des Unrechts und des neuen Kolonialismus,

was Seelsorge und Verkündigung des Evangeliums ist, wird neu (?) definiert: Pastoral ist immer auch politische und soziale Verantwortlichkeit.

Die Gemeinden und ihre entwicklungspolitischen Gruppen werden dadurch häufig in heftige Konflikte verwickelt, in Peru und in Deutschland.

Das Buch führt einige lehrreiche Beispiele vor: die Gemeinde Porcón in Cajamarca und St. Gallus in Tettnang kämpfen gemeinsam gegen die Goldmine in Porcón, gegen die gewaltsame Enteignung der Campesinos, gegen die Zerstörung ihrer Lebensgrundlagen, gegen die Vergiftung von Wasser und Boden durch Schwermetalle, usw.

Die vielfältigen Initiativen der Gemeinde St. Georg in Ulm in der Partnerschaft mit der Gemeinde San Pedro Cajamarca, die Gruppen der Freiburger Pfarreien, der Pfarrei St. Martin in Dortmund, Heilig Kreuz in Castrop-Rauxel, Maria Frieden in Hannover werden in der Folge dargestellt, in ihrem Selbstverständnis und in ihren partnerschaftlichen Erfahrungen befragt. Bemerkenswert ist, dass viele ihr eigenes Christentum neu verstehen. Willi Knecht fasst das so zusammen:

"Die Armen evangelisieren uns; ...

Sich mit der eigenen Umwelt auseinandersetzen ... und erkennen, dass das 'Schicksal' der Armen mit unserem Reichtum zusammenhängt; ...

Erfahrung einer Einheit von Glaube und Alltag, als Sorge um 'Leib und Seele', als Einheit von Spiritualität ... und Aktion; der Kontakt mit den Armen kann die Augen öffnen für die Armen und Fremden vor der eigenen Haustür. Partnerschaften sind die geeigneten 'Vehikel', um die ... Milieuverengung kirchlicher Gruppen mit ihren Tendenzen zur Abschottung und Ausgrenzung aufzuhalten und gar aufzubrechen" (204).

Das Buch geht schließlich den Hintergründen des Bischofswechsels von Dammert zu Simòn (1992/1993) nach - das ist der Wechsel von der Theologie der Befreiung zum Opus Dei - den Rest kann man sich denken; auch Misereor und Adveniat werden hier nicht verschont, wenngleich die Hilfswerke sich "hierarchisch" einordnen müssen, ob sie wollen oder nicht. -

In seinem Beitrag über die Partnergruppen beschreibt Elmar Klinger, was sie für die 'Globalisierung' bedeuten, im Licht des Zweiten Vatikanischen Konzils:

"Wir (die deutsche katholische Kirche, Red.) sind mentalitätsmäßig an vielen Orten tiiefste Provinz. Aber wir sind ein globaler Faktor. Wir sind es durch unseren Einfluss. Wir sind es durch unsere Spenden... In Brasilien sagt man, die deutsche Mark hat einen Namen: Sie heißt San Marko ... Es gibt eine Grundprämisse herkömmlichen Wirtschaftsdenkens, den 'methodologischen Nationalismus'. Er setzt Nationalstaat und Gesellschaft gleich. Es gibt eine ähnliche Tradition in der Kirche. Man könnte ihn den 'methodologischen Ekklesiozentrismus' nennen. Er setzt Institution und Kirche gleich." (231). Das Konzil, so Klinger, hat den Ekklesiozentrismus hinter sich gelassen, dazu nennt er

vier Daten der Gegen-Globalisierung:

"Das Konzil erklärt erstens, dass soziale Fragen pastorale Fragen sind. Es gibt für sie einen Vorrang in der Seelsorge. Denn alles, was die Menschen vor Ort erleben, Freude und Hoffnung, Trauer und Angst, besonders die Armut ... betrifft die Kirche. Die Jünger und Jüngerinnen Christi haben teil an dieser Situation und tragen dafür ihre eigene Verantwortung. Sie stehen für Gerechtigkeit.

Zweitens sagt das Konzil, dass es einen Vorrang der Personen vor den Institutionen gibt. Der Mensch ist nicht für die Arbeit, sondern die Arbeit ist für den Menschen da. Die Globalisierungsprozesse sind zu messen an diesem Primat.

Drittens sagt das Konzil, Glaube und Evangelium werden dadurch am besten verkündet, dass man einen Dialog über die Menschenrechte und über den Aufbau einer Gesellschaft führt, die sie verwirklicht.

Viertens sagt das Konzil: Die Laien haben außerhalb der Kirche sowieso, aber auch in ihr das Recht, sich zu organisieren. Sie nehmen eine globale Verantwortung wahr. Misereor könnte eine Plattform der deutschen Kirche für ihre Zusammenarbeit mit den Partnergruppen sein. Aber sie bedürfen einer größeren Zuwendung und einer wirklichen Beratung..." (232)

Ottmar Fuchs schreibt (in seinem Beitrag "Interkontinentale Partnerschaften im Horizont weltkirchlicher Pastoral") den "Partnerschaften und Dritte Welt-Gruppen eine wirklich prophetische Qualität" zu. "In der Begegnung zwischen den reichen nördlichen Kirchen und den südlichen armen Kirchen sind sie eine oft sehr kompakte soziale Manifestation dieser globalen diakonischen Verbindung." (252). Fuchs formuliert die "hoffnungsvolle Vision von einer Kirche, die in ihrer lokalen und globalen Katholizität gegen die destruktiven Globalisierungen eine transzendenzeröffnende und humanisierende 'Gegenglobalisierung' eröffnet und betreibt, durch eine ebenso inkulturative wie interkulturelle Pastoral, und damit durch eine 'Globalisierung' des Evangeliums" (254).

Hermann Münzel


© imprimatur Mai 2003
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