Die größte Goldmine Lateinamerikas heißt Yanacocha und produziert
fast ein Achtel der peruanischen Exporte. Doch mit den Gewinnen wuchsen vor Ort
auch Armut und Umweltprobleme. Mitte September verhinderten Proteste die
Ausbeutung neuer Goldvorkommen.
Im Jahre 1532 erhielt Francisco Pizarro ein unglaubliches Angebot. Der
Inkaherrscher Atahualpa erklärte sich bereit, seinen Gefängnisraum im Andenstädtchen
Cajamarca mit Gold aufzufüllen, falls ihn der spanische Invasor dafür
freilassen würde. Nachdem der Handel notariell besiegelt war, ließ Atahualpa
alles Gold aus königlichen Palästen und Tempeln nach Cajamarca schaffen.
Indianische Goldschmiede mussten die erhaltenen Gegenstände einschmelzen und
daraus Barren formen. 1,3 Millionen Goldpesos kamen zusammen, ein für damalige
Verhältnisse riesiges Vermögen. Damit war die Gier der Spanier nach dem
Edelmetall vorübergehend gestillt. Wie versprochen durfte Atahualpa sein
Gefängnis verlassen. Aber seine Freiheit war der Tod: Pizarro ließ ihn auf der
Plaza von Cajamarca hinrichten.
Das Goldfieber ist nun nach Cajamarca zurückgekehrt. Aber heute sind es keine
spanischen Invasoren, sondern US-amerikanische Investoren vom Minenkonzern
Newmont Corporation, die Einheimische Goldbarren herstellen lassen. Sie
betreiben zusammen mit der peruanischen Firma Buenaventura seit 1992 eine Mine
mit dem indigenen Namen Yanacocha und holen das Edelmetall aus den Bergen rings
um das 2.700 Meter hoch gelegene Städtchen. Zuvor hatte die peruanische
Regierung den InvestorInnen ebenfalls ein hervorragendes Angebot unterbreitet.
Sie lockte diese mit Steuervorteilen, schwächte die Umweltschutzgesetze ab und
garantierte die Enteignung des auszubeutenden Terrains. Die InvestorInnen
ihrerseits versprachen der ansässigen Bevölkerung Arbeit und Wohlstand, dem
Land Devisen und neueste Minentechnik. Das, so fand die Weltbank, war nicht nur
ein gutes Geschäft für beide Seiten, sondern auch ein ausgezeichnetes
Entwicklungsmodell. Deswegen übernahm sie selbst gleich fünf Prozent der
Anteile von Yanacocha.
Mondlandschaft mit orangen Seen
Die Mine liegt hoch oben über der Stadt. Wer auf Yanacocha herabschauen möchte,
muss sich auf fürchterlichen Schotterpisten die Berge hinauf winden. Es geht an
kleinen Bauernhöfen vorbei, an Kartoffelfeldern und Wiesen mit schwarzweißen
Kühen. Allmählich sinkt die Temperatur, die Landschaft wird karger. Auf etwa
4.100 Metern Höhe, an einem Ort namens Maqui Maqui, zieht sich ein riesiger
Maschendrahtzaun über einen Hügel, die Grenze zum Minengebiet. Über den Zaun
hinweg fällt der Blick weiter unten auf treppenförmig übereinander
geschichtetes Gestein. Am Fuß der Treppen breiten sich riesige Becken mit
orangefarbenem Wasser aus. Die Gegend gleicht einer Mondlandschaft. Kein
Strauch, keine Blume, kein Tier weit und breit, nicht einmal ein Vogel. Es ist
bedrückend still.
Der Bauer Nicolás Cruzado wohnt in der Nähe. Anfang der 90er Jahre musste er
einen großen Teil seines Landes an die Mine verkaufen. Für 30 US-Dollar pro
Hektar. Heute zahlt die Mine für ähnliche Landstücke das 300-fache. Aber
damals, als die ersten Landkäufer anrückten, konnten die Bauern und Bäuerinnen
nicht wissen, wie viel Gold unter ihren Feldern lag. 40 indigene Bauernfamilien
aus Maqui Maqui verkauften ihr Land unter Preis. Die meisten von ihnen waren
AnalphabetInnen, sie unterschrieben mit einem Fingerabdruck. Cruzado wurde
doppelt hereingelegt: „Die Agenten der Mine wollten auf unserem Land gegen Bezahlung
Messungen vornehmen und boten uns dafür einen Vertrag an“, klagt der Bauer.
Ohne es zu wissen unterzeichneten er und seine NachbarInnen damit den Verkauf
ihres Landes. Jetzt sind die meisten Familien verschwunden, die Einkünfte aus
der Landwirtschaft reichen nicht mehr. Cruzado erinnert sich wehmütig, dass
hier früher sogar Heilkräuter wuchsen. Es gab Hirsche, Füchse, Adler und
Vizcachas (Wollhasen). Heute ist nichts mehr da. Nur die Berge. „Und die“,
seufzt Cruzado, „hat die Mine abgeflacht und kaputt gemacht.“
Kranke Kühe, tote Pferde
Ein paar hundert Meter unterhalb von Maqui Maqui lebt Antero Huamán mit seiner
Familie. Er baut Kartoffeln und Quinua an, ein einheimisches Getreide. Auf
seiner Wiese weiden ein paar Kühe. Huamán ist überzeugt: Das Wasser der Flüsse
und Bäche, die von weiter oben kommen, ist vom Goldabbau vergiftet. Anders kann
er sich nicht erklären, dass in den Bächen keine Forellen und Frösche mehr
leben. Aber das ist nicht das Schlimmste. Die Mine hat auf ihrem Territorium
Lagunen abgesperrt, aus denen Huamán und seine NachbarInnen früher über Kanäle
mit Trinkwasser versorgt wurden. Damit bleibt ihnen nur das verseuchte Wasser
aus den Bächen. Huamáns Kinder leiden an Hautausschlag, die Kühe geben weniger
Milch, und zwei Pferde eines Nachbarn sind auf rätselhafte Weise qualvoll
verendet. Alles die Schuld der Mine, meint Huamán und zeigt sich resigniert:
„Wir Bauern haben protestiert und Briefe an die Mine geschrieben. Alles
vergeblich. Sie werden uns noch umbringen!“
Nilton Deza, Biologe an der Universität Cajamarca und Vorsitzender einer
Umweltschutzorganisation, hat mit hunderten von Bauern gesprochen, die solche
Klagen bestätigen. Seit Beginn des Goldabbaus, sagt er, gebe es im Bodensatz
der betroffenen Flüsse keine Insekten mehr, deren Vorkommen auf eine gute
Wasserqualität hinweist. Stattdessen hätten seine Leute dort eine deutliche Übersäuerung
des Wassers nachgewiesen und mehrfach eine gefährliche Überschreitung der
Grenzwerte für Quecksilber, Blei, Arsen und das krebserregende Chrom 6
registriert – alles Mineralien, die sich beim Goldabbau aus dem bearbeiteten
Gestein lösen. Haut- oder Augenkrankheiten, über die die Betroffenen am meisten
klagen, zählen für Deza zu den typischen Folgen von Arsenvergiftungen. Auch
Spuren des hochgiftigen Zyanids, mit dem die Mine das Gold aus dem erzhaltigen
Gestein bindet, will Deza im Wasser gefunden haben. Doch UmweltschützerInnen
wie er haben einen schweren Stand. Denn fast alle chemischen Laboratorien in
der Umgebung arbeiten mit der Mine zusammen und sind von ihr abhängig. Bleibt
nur der lange Weg in eines der privaten Laboratorien der Hauptstadt Lima, wo
der chemische Nachweis eines einzigen Minerals in einer Wasserprobe 30
US-Dollar kostet. Das können Betroffene oder Umweltschutzverbände nur
gelegentlich bezahlen.
Das Arsenattentat
Im Namen der Mine streitet Peter Orams, der zuständige Umweltingenieur,
kategorisch ab, dass die Bauern weniger Wasser zur Verfügung hätten oder dieses
kontaminiert sei.
Die Mine habe sich von Anfang an verpflichtet, Wasseranalysen durchzuführen,
und das geschehe regelmäßig. Das saure Wasser werde behandelt, gesammelt und in
ein Becken gepumpt. Dort filtere man die verschiedenen Schwermetalle heraus und
mache sie unschädlich. Am Ende lägen die Werte der Schwermetalle im Wasser
unterhalb der gesetzlichen Höchstgrenze. Kühe, die weniger Milch geben, Kinder
mit Hautausschlägen, Krebstote unter den Bauern?
Orams geht zum Angriff über. Er hätte schon die unmöglichsten Dinge gehört,
woran die Mine schuld sein solle. In den meisten Fällen gehe es darum, dass die
Bauern den Minenbetreibern Geld abpressen wollten.
Zwei größere Umweltkatastrophen kann Orams aber nicht abstreiten. Im Juni 2000
verlor ein Lastwagen auf dem Weg nach Lima Quecksilber, das in Yanacocha als Nebenprodukt
gewonnen wird. Auf einer Strecke von 40 Kilometern wurden 151 Kilogramm des
giftigen Minerals verschüttet. Mehr als 1000 Menschen erkrankten schwer. Sie
sammelten das Quecksilber zum Teil mit bloßen Händen von der Straße auf. Bis
heute werden als Folgeerscheinungen Fehlgeburten registriert. Und als im
gleichen Jahr Unmengen toter Forellen in einem Bach gefunden wurden, der aus
dem Abbaugebiet der Mine kommt, stellten SpezialistInnen eine Arsenvergiftung
der Fische fest.
Die Mine erstattete Strafanzeige gegen Unbekannt und behauptete, ihre
GegnerInnen hätten von einer Brücke absichtlich Arsen ins Wasser geschüttet.
Zwei Jahre später starben in einem nahe gelegenen Zuchtbetrieb erneut
zehntausende Forellen. Dieses Mal verzichtete Yanacocha auf eine Anzeige.
Yanacocha – das Kronjuwel der Goldminen
Yanacocha ist derweil zur größten Goldmine Lateinamerikas angewachsen. Die
Rekordausbeute im Jahr 2003, 87 Tonnen Gold im Wert von knapp einer Milliarde
US-Dollar, ist auch von wirtschaftlichem Gewicht.
Damit stammt nämlich die Hälfte der peruanischen Exporterlöse aus dem
Minensektor, ein Viertel aus dem Goldabbau und allein ein Achtel aus Yanacocha.
Der Newmont-Konzern, der Minen in aller Welt unterhält, bezeichnet die Mine zu
Recht als sein Kronjuwel. Denn die Produktionskosten für das Edelmetall sind in
Peru die niedrigsten auf der Welt: Die Mine zahlte 2003 lediglich eine Gewinnertragssteuer
von 1,8 Prozent (!) an den peruanischen Staat. Nicht einmal eine Gebühr für Ressourcenabbau
wurde bislang erhoben, wie das zum Beispiel im Nachbarland Chile üblich ist.
Inzwischen ist zwar ein Gesetzentwurf auf dem Weg, darin sind aber
Ausnahmeregelungen für den Goldsektor vorgesehen.
Hoher Gewinn, geringer regionaler Nutzen
Die Abzahlung der Auslandsschulden frisst unterdessen etwa 20 Prozent des
peruanischen Staatshaushalts. Während also ein Großteil der Steuergelder ins
Ausland fließt, kommt davon kaum etwas nach Cajamarca zurück. Dort hat sich
wiederrum die Zahl der EinwohnerInnen seit 1990 auf 140.000 verdoppelt, obwohl
die Mine nur ein paar tausend Arbeitskräfte beschäftigt. Die Menschen kamen in
der Hoffnung auf Arbeit und Wohlstand, doch in ihrem Gefolge zogen Prostitution
und Kriminalität in die einst verschlafene Kolonialstadt ein. Während bis Ende
2003 etwa 450 Tonnen Gold die Region verließen, ist Cajamarca in der nationalen
Skala der ärmsten Regionen vom viert- auf den vorletzten Platz zurückgefallen.
Im Entwicklungsmodell Yanacocha bleibt für Peru nur die klassische Rolle eines
wirtschaftlich schwachen Landes, das seine Ressourcen feilbietet.
Protest formiert sich –nicht nur in Cajamarca
Deshalb wächst die Unzufriedenheit vor Ort. Nur hatten Proteste gegen die
Ausbeutung neu entdeckter Goldvorkommen auf Grund der wirtschaftlichen Macht
der Yanacocha-Mine zunächst wenig Aussicht auf Erfolg.
Das änderte sich, als örtliche Widerstandsgruppen Mitte September 2004 zu einem
regionalen Streik aufriefen (siehe Kasten). Vorbild war hier das Tal von
Tambogrande, das an der nördlichen peruanischen Küste liegt, wo die Bevölkerung
schon seit Jahren erfolgreich gegen den Bau einer Goldmine durch die kanadische
Firma Manhattan Minerals Corporation protestiert (siehe LN 361/362). Unzähligen
Protestmärschen, Streiks und Blockadeaktionen folgte im Jahre 2002 ein Plebiszit,
bei dem über 90 Prozent der AnwohnerInnen der Mine eine Absage erteilten.
Der Widerstand gegen die hemmungslose Ausbeutung von Ressourcen formiert sich
auch in anderen Teilen Lateinamerikas. Dort, wo sich das Goldfieber und die
Gier nach Rohstoffen ausbreiten, fühlt sich die Bevölkerung immer häufiger
betrogen und ausgenutzt. Wie einst Atahualpa.
Der Streit um den sechsten Berg - El Quilish
Fünf Berge um Cajamarca fielen dem Goldfieber bereits zum Opfer. Jetzt haben
die Minenbetreiber einen sechsten ausgespäht. Der heißt Cerro Quilish und
beherbergt neben dem Edelmetall die einzige saubere Trinkwasserquelle der
Stadt. Deshalb fürchten nicht nur 8000 indigene Bäuerinnen und Bauern um ihre
Gesundheit: Meinungsumfragen zufolge lehnt eine klare Mehrheit der EinwohnerInnen
die Ausweitung des Goldabbaus auf dem Cerro Quilish ab. Der Bürgermeister
Cajamarcas erklärte vor ein paar Jahren den Berg sogar zur geschützten Zone.
Die Mine klagte dagegen und verlor in zwei Instanzen. Doch das oberste
Verfassungsgericht mahnte ein unabhängiges Gutachten an. Daraufhin erlaubte das
Ministerium für Energie und Bergbau den Minenbetreibern die Aufnahme von
geologischen Untersuchungen am Cerro Quilish.
Derweil setzen sich der neue Bürgermeister Cajamarcas und die örtlichen Medien
ebenfalls für die Goldförderung am Cerro Quilish ein. Den Umweltschützer Nilton
Deza wundert das nicht. Ihm zufolge finanzierten die Minenbetreiber dem
Bürgermeister ein Postgraduierten-Studium in Spanien. Und Deza kennt eine ganze
Reihe einheimischer JournalistInnen, die auf der Gehaltsliste der Mine stehen.
Der Eigentümer der lokalen Zeitung Panorama besitzt sogar eine Firma, die zu
den Zulieferbetrieben der Mine zählt. Die Mine selbst präsentiert sich als
Wohltäterin. Sie rüstet die örtliche Polizei mit Schutzwesten aus, verteilt an
Schulen gratis Unterrichtsmaterialien und fördert den beliebten Karnevalsumzug.
Es sah also so aus, als wäre die Ausbeutung des Cerro Quilish nicht mehr zu
verhindern, bis örtliche Widerstandsgruppen Anfang September begannen, den
Zugang zur Mine zu blockieren und einen regionalen Streik auszurufen. Am 15.
September blieben in Cajamarca Banken, Schulen, Geschäfte und Behörden
geschlossen. Der Cerro Quilish wurde besetzt, die Straßenverbindung zur Küste gesperrt,
und Zehntausende gingen auf die Straße. Mit Erfolg: Die Regierung ordnete die
sofortige Einstellung aller Arbeiten am Cerro Quilish an. Jetzt wird eine
gerichtliche Entscheidung auf der Grundlage von Gutachten erwartet.
Quelle: Lateinamerika-Nachrichten, November 2004 /www.lateinamerikanachrichten.de/?/artikel/332.html