Ein Bischof der Zukunft  

von Weihbischof Ernst Gutting, Speyer

 

 

Ihre Hoffnung und Vision für die Zukunft haben die Armen von Peru in ihrem Hirtenlied zum Ausdruck gebracht: „Erhebet die Augen, zu Ende ist die Finsternis; wir, die wir Sklaven waren, werden die Fesseln sprengen. Singet neue Lieder, schon naht die Befreiung. Unser Sieg ist nicht fern, bald feiern wir das große Fest“!

 

Wenn jemand diese Hoffnung durch alle Einsätze in seinem bischöflichen Amt, im Land der Befreiungstheologie, in den Herzen der Peruaner, genährt und gefördert hat, dann war es zweifellos Bischof Dammert in der Diözese Cajamarca in Peru.

Da zwei Pfälzer Priester (und später noch ein Laientheologe) in seinem Bistum zu seinen wichtigen Mitarbeitern und Förderern gehörten, konnte ich bei einem Besuch meiner Pfälzer Mitbrüder in Peru die Persönlichkeit von Bischof Dammert und sein Pastoralkonzept kennen lernen.

Mir war damals und ist bis heute kein Bischof bekannt, der so konsequent die Ziele des II. Vatikanischen Konzils - aufgrund der Ekklesiologie, vor allem der Lehre von der Sendung der Laien als Träger der Sendung der Kirche und die sich daraus ergebenden Aufgaben der Bischöfe und Priester - in sein Pastoralkonzept umzusetzen suchte. Als ihn seine Campesinos 1992 verabschiedeten, legten sie entsprechend seiner Vision von einer „Kirche mit Poncho und Sombrero“ (statt mit Stab und Mitra) diese Wahrzeichen ihres Bischofs mit auf den Altar.

 

Als ich in sein „Bischofspalais“ (ein altes spanisches Kolonialhaus) in Cajamarca kam, war er leider gerade in Rom als Mitglied der römischen Bischofssynode. Zum Glück konnte ich mich mit ihm vor meinem Rückflug in seinem Elternhaus in Lima ausführlich unterhalten, nachdem ich zwei Wochen in Cajamarca sein Konzept der Pastoral an der Basis seiner Diözese kennen gelernt hatte.

In seinem Arbeitszimmer in Cajamarca stand ein alter Schreibtisch, den er ganz wenig brauchte. Das halbe Zimmer war übersät mit Arbeitsgeräten (Hacken, Schaufeln, Spaten, u. ä. m.), die er immer ausgeliehen hat, wenn jemand eine Arbeit fand, sie aber nur bekam, wenn er das Arbeitsgerät selbst mitbrachte. Bischof Dammert war völlig klar, dass ohne soziales und politisches Engagement die Verkündigung der Frohen Botschaft keine Chancen hat. 

 

Sein Großvater stammte aus Deutschland. Europa und seine Probleme waren ihm nicht unbekannt. Vielleicht war ihm bewusst, dass das Versagen der Kirche am Beginn der Industriegesellschaft mit schuld war, dass die „Kirche die Arbeiterschaft verloren hat“. Das Konzil hat auch betont, dass eine „Spaltung zwischen Leben und Glauben zu den schlimmsten Verirrungen unserer Zeit zählt…“. In der neuesten Pastoralliteratur betont z.B. der Pastoralsoziologe Gabriel, dass die Zukunft und Glaubwürdigkeit der Kirche sich durch die Diakonie nicht nur im geistig und spirituellen, sondern in allen Lebensbereichen entscheidet.

 

Ein Höhepunkt meiner Erlebnisse in Cajamarca war ein Besuch in Perlamayo, der höchstgelegenen, von zwei Ordensschwestern betreuten Pastoralstation mit Schule. Als Pfarrhaus dient den Schwestern ein Lehmhaus ohne Fenster. Dafür haben sie ihre Stelle in einer vornehmen Schule in Lima aufgegeben. Nach drei Stunden Fahrt mit dem Landrover über zwei Pässe, mussten wir das Auto stehen lassen. Für den letzten Teil der Strecke wurden wir von zwei Campesinos mit Pferden abgeholt. Sechsmal mussten wir durch bzw. über einen Wildbach in einer Schlucht entlang. Einzige Regieanweisung (ohne Reitunterricht) lautete: Wenn das Pferd aufwärts springen muss, halten Sie sich an der Mähne, beim Abwärtsspringen am Schwanz. Am nächsten Tag konferierten wir mit 20 LaienmitabeiterInnen von 10.00 bis 13.00. Es wurde der Pastoralplan für alle Sparten der Seelsorge für das nächste halbe Jahr gemacht (für ein Gebiet mit 100.000 Katholiken). Danach wurde das Aktionsprogramm mit allen Campesinos besprochen, die zum anschließenden Gottesdienst um 14.30 gekommen waren. Viele müssen ja danach wieder drei Stunden zu Fuß nach Hause zurück.

 

Für mich war das Mitfeiern der Campesinos - einschließlich Jugendliche und Kinder - aufgrund der Spontaneität ein tiefes Erlebnis. Nach dem Verlesen des Evangeliums gab es ein zwangloses Gespräch über die Einsichten der Teilnehmer und diese sagten spontan, wie sie die betreffende Bibelstelle verstanden haben und was das für ihr Leben bedeutet. Die Fürbitten kamen dann ohne Vorbereitung von den Mitfeiernden, sehr konkret und persönlich. Trotz der Entfernungen traf sich hier eine lebendige Gemeinschaft der Kirche. Kirche wurde lebendig und als Gemeinschaft erfahrbar, wie dies bei uns  - bis auf vereinzelte Gruppenmessen - gar nicht denkbar ist.

 

Durch die über viele Jahre andauernden Ausbildungsmaßnahmen, gleichzeitig für medizinische, soziale und katechetische Dienste, ohne Spaltung von Leben und Glauben, hat hier der Bischof den richtigen Weg in die Zukunft der Kirche beschritten. Man denkt hier unwillkürlich im Sinne des peruanischen Hirtenliedes an den Weg Israels in das  Land der Befreiung, unter der Führung von Moses. 

 

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Der Bericht ist die Antwort auf einen Brief von mir an Weihbischof Gutting, vom 22. 4. 1998:

 

Lieber Herr Weihbischof Gutting,                                                                                  

 

….. Ein „Nebenprodukt“ der Studie über die Kirche von Cajamarca ist das Porträt über Bischof Dammert, das im Rahmen eines Buches anlässlich „30 Jahre Medellín“ im Grünewald-Verlag erscheinen wird. Da Sie Bischof Dammert nicht nur kennen, sondern ihn auch in Cajamarca besucht haben, hoffe ich, dass Sie der beiliegende Artikel interessiert. Ich denke, dass die Erinnerung an die Aufbrüche nach dem Konzil, die ganz konkret das Leben vieler Millionen Menschen positiv verändert und schließlich auch die Kirche selbst verwandelt haben, in unser heutigen Zeit eine „memoria subversiva“ im positiven Sinne darstellt.

Ich habe aber noch eine kleine Bitte: da Sie meines Wissens der einzige deutsche Bischof waren, der auf einem Maulesel weit auf dem Lande bei den Campesinos war, wäre es für die Studie sehr interessant, wenn Sie sich noch daran erinnern und dies auch schriftlich festhalten könnten. Es geht nicht um einen ausgefeilten Text, auch soll es kein langer Text sein, sondern nur darum, wie Sie diesen Besuch in Cajamarca und bei den Campesinos erlebt haben. Natürlich könnten Sie auch erzählen, welchen Eindruck Bischof Dammert, seine Art und Weise und seine Arbeit insgesamt auf Sie machten...

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Literaturhinweise zu Bischof Dammert und zur Kirche von Cajamarca:

 

„Die Wehklagen derer, die leiden, lassen mich nicht ruhen“ in: Die Armen zuerst! 12 Lebensbilder lateinamerikanischer Bischöfe; Hg. Johannes Meier, Matthias-Grünewald-Verlag Mainz, 1999.  Auch in:

                                                                                            www.cajamarca.de/download/medellin.pdf

„Die soziale und pastorale Arbeit von Bischof Dammert“  www.cajamarca.de/download/dammert.pdf

Gustavo Gutiérrez: „Pepe!“ -  über Bischof Dammert         www.cajamarca.de/download/pepe-deutsch.pdf

„Das Evangelium der Campesinos von Bambamarca“        www.cajamarca.de/evangelium.htm

„Papst Benedikt und der Glaube der Campesinos“              www.cajamarca.de/download/ratzinger.pdf

Der Beitrag der Diözese Speyer, z.B. Alois Eichenlaub       www.cajamarca.de/download/anfang.pdf

Die Diözese Cajamarca und die Pfarrei Herxheim/Pfalz     www.cajamarca.de/download/herxheim.pdf

Sowie als Hintergrund meine vollständige Dissertation:      www.cajamarca.de/theol/knecht.pdf