Zur "Theologie der Befreiung" (TdB)

Der Begriff "Theologie der Befreiung" stammt von Gustavo Gutiérrez - zuerst 1969 auf einem Kongress in Chimbote, Peru, dann als Titel seines Buches "Teología de la liberación" (1972). Wie er aber selbst immer wieder sagte, wäre er nicht zu dieser Theologie gekommen, wenn er nicht selbst bereits in einer befreienden Praxis gelebt und mitgewirkt hätte. Das heißt: er hat am eigenen Leib erfahren, was die Menschwerdung Gottes inmitten der Ausgestoßenen für diese bedeutet, ebenso ihre Passion, ihren gewaltsamen Tod (weil man sie um ihr das von Gott verheißene Leben bringt) und ihre Auferstehung als Mensch inmitten einer von Jesus dem Christus inspirierten Gemeinschaft, die um ihre Rechte und um die Würde jedes Einzelnen kämpft. Und diese vom Geist Jesu und seiner Botschaft vom anbrechenden Reich Gottes geprägte befreiende Praxis hat er nicht nur in den Elendsvierteln Lima erfahren, sondern vor allem inmitten der Campesinos von Cajamarca. Denn dort war seit 1963 eine völlig neue Praxis der Kirche im Entstehen.... . siehe u.a. Cajamarca als Beispiel einer erneuerten Kirche und Eine Kirche der Armen.  Bischof José Dammert, von 1962 -1992 in Cajamarca, war sein "geistiger Vater", bei dem er in die Lehre ging (wie er selbst sagte). Dammert war u.a. die treibende Kraft der Bewegung der "Kleinen Bischöfe" - siehe Katakombenpakt.  In dieser Diözese wurden Geist und Beschlüsse des Konzils beispielhaft in die Praxis umgesetzt, eine erneuerte Kirche und auf der Seite und inmitten der Armen erschien "plötzlich" möglich.....  (siehe "Bischöfe des Konzils" auf der 1. Seite).

Ich persönlich spreche eher von einer Praxis oder Kirche der Befreiung. Denn es ist nicht die Theologie die befreit, sondern eine ganz konkrete Praxis, die sich am Glauben und der Praxis Jesu orientiert, die sich z.B. mit allen Menschen, besonders den Bedürftigen an einen Tisch setzt und mit ihnen das Brot teilt, d.h. alles, was der Mensch zum Leben braucht und so selbst zum "Brot des Lebens" für andere wird. Es geht eher darum, die Theologie (in ihrem europäischen Kontext) zu befreien, also für eine "Befreiung der Theologie" zu kämpfen - eine Befreiung von ihrer Vergangenheit als Stütze und Rechtfertigung schlimmster Verbrechen im Namen des "christlichen Abendlandes". Und diese Geschichte reicht bis in die Gegenwart:

Da die Euro-Theologie notorisch weltfremd und apolitisch ist, kann und will sie nicht wahrnehmen, wer der eigentliche Gegner ist: ein von Menschen so gewolltes System, das die niedrigsten Instinkte, die Gier und das immer mehr Haben und Sein (Gott sein) wollen, zur obersten Maxime und Grundlage allen Handelns gemacht hat. Ihr Gott ist das Geld, bzw. sie selbst. Dieses weltweit und zuerst von christlichen Europäern (seit Beginn der Neuzeit) installierte System ist inzwischen so mächtig und weltweit „alternativlos“, dass es die ganze Menschheit in Geiselhaft nehmen kann. Medellín und die Theologie der Befreiung klagen dies an und verkünden wie Jesus und die Propheten eine befreiende Alternative – mit allen bekannten Konsequenzen für ihr Leben.

In unfertigen Stichworten:

1. Die TdB wird – oft auch von ihren Sympathisanten - reduziert auf exotische, anregende  Folklore in armen Ländern. In Wirklichkeit ist sie aber Theologie in ihrer Ganzheit, in ihrer Fülle, sie ist DAS Original, vom Ursprung, dem Evangelium her, weil sie von der Praxis Jesu ausgeht und in der Tradition der ersten Martyrer und Zeugen der Auferstehung steht; weil sie prophetisch und solidarisch mit den Opfern ist (Anklage und Verkündigung).

2. Das Konzil wird als Übergang von der „Reichskirche“ des letzten Jahrtausends und als Anknüpfen an die verschütteten, verdrängten, authentischen Überlieferungen der ersten 3 Jahrhunderte verstanden. Die 2. Lateinamerikanische Bischofskonferenz in Medellín 1968 gilt als die Weiterführung und Konkretisierung des Konzils inmitten eines ganz konkreten Umfelds (Unterdrückung, Elend usw.). Die daraus entstandene TdB ist die Weiterentwicklung des Konzils im neuen Kontext, im Kontext unterdrückter Völker, der Opfer und der Ausgestoßenen. Sie hat auch Gültigkeit und ist Maßstab für die "reichen Völker" und die europäische Kirche - nicht nur weil wir immer zuerst als Kirche Jesu Christi eine katholische (weltweite) Kirche sind und wir diese Welt, ihre Wirtschafts- und Finanzordnungen aus der Perspektive der Opfer zu betrachten haben, sondern auch weil wir als Europäer (christliches Abendland inklusive das "weiße" Amerika) für die Zerstörung von Mensch und Natur vorrangig verantwortlich sind.

3. Die Tdb ist die erste nichteuropäische Theologie (von vorderasiatischen und afrikanischen Ursprüngen abgesehen).  Ihr Ausgangspunkt ist nicht der Standort der Sieger, der Eroberer und der "Fürsten dieser Welt". Sie ist die Theologie (eher Aufschrei und Ruf nach Gerechtigkeit und Respekt) des Volkes Gottes, das sich auf den Weg der Befreiung aus der Sklaverei befindet. Sie steht in der Tradition der Propheten, von Moses bis zu dem Messias und gegen die Herrschaft der Tempelpriester, der Theokratie Jerusalems und Roms (damals und heute)  Denn für Jesus den Christus stand nicht „Jerusalem und der Tempel “ im Mittelpunkt, sondern der konkrete Mensch, der unter die Räuber gefallen ist, denn dieser der wahre Tempel Gottes. Die Tdb ist daher nicht kompatibel mit der Theologie der Schriftgelehrten und des Hohen Rates, der Kollaborateure mit dem Imperium Romanum (Americanum) - damals wie heute. 

4. Eine Analyse aus der Sicht der arm Gemachten und Unterdrückten und eine entsprechende Deutung im Lichte des Evangeliums zeigt, dass die herrschende Unordnung in dieser Welt von ganz bestimmten Menschen (darunter viele "Christen") aus ganz bestimmten Interessen genau so gemacht wurde, wie sie ist: als ein Monster, das immer mehr Menschen und ganze Völker verschlingt. Es ist eine Situation, "die zum Himmel schreit", eine "strukturelle Sünde" (Bruch mit Gott und der menschlichen Gemeinschaft, Medellín 1969). Diese Situation hat sich bis heute verschärft und erheblich beschleunigt - spätestens seit Beginn der 80er Jahre durch die gezielte  Entfesselung der (Finanz-) Märkte und deren Verehrung als oberste Gottheit - absolut und alternativlos.

5. Die klassische europäische Theologie (von Augustinus, über Thomas von Aquin, die Conquista und Kolonialisierung bis zum 20. Jh.) diente stets der Rechtfertigung von Macht und Herrschaft, von Kriegen, Eroberungen und Zerstörung anderer Kulturen - bis hin zu Völkermord. Ihre Theologen wurden so und sind es noch zu „Hoftheologen des Pharao“. Denn die europäische Theologie bewegt sich immer noch im Kontext des "Imperiums", der reichsten Länder, wie zu Zeiten Konstantins und Augustinus. Deswegen ist sie nicht in der Lage, die herrschenden Götzen (siehe oben) als solche zu entlarven, geschweige zu bekämpfen. Denn sie ist Teil desselben. Zudem befindet sie sich aktuell in "römischer Gefangenschaft". Denn Rom (Papstkirche) denunziert alle als gottlos, die gegen die herrschenden Missstände und gegen diesen Götzendienst und gegen die Mächte des Todes aufstehen - weil sie angeblich aus eigener Kraft eine bessere Welt errichten wollen. Wie sollen aber diese Hoftheologen des Pharao (mit Mitra) dem versklavten Volk Gottes den Weg in die Befreiung weisen können?

6. Ihren aktuellen Höhepunkt und Krönung findet diese Art europäischer Theologie in Josef Ratzinger (Papst „Benedikt der Weiße“) und seinen Hofpredigern. Konkret bedeutet dies, dass Propheten wie Helder Camara, Oscar Romero, viele andere und Millionen von "namenlosen" Christen buchstäblich zum Abschuss freigegeben wurden und werden. Denn Johannes Paul II. und sein Chefideologe haben bewiesen, dass sie lieber mit kriminellen Geheimdiensten und deren Killern als mit den Märtyrern zusammen arbeiten. Siehe u.a.:  Zum 30. Todestag der Ermordung von Oscar Romero und  En memoriam Oscar Romero (mit Fürbitte für Johannes Paul II.).

7. Die Papstkirche hat vor allem deswegen (u.a.) jede Autorität verloren. Ihr Sprechen z.B. von Tod und Auferstehung Jesu Christi ist angesichts ihrer Praxis eine Gotteslästerung (siehe auch die "Jesusbücher von Ratzinger). Um zu ihren eigentlichen Aufgaben zurückzukehren, müsste sich die europäische Theologie zuerst von dieser unheilvollen Vergangenheit und immer noch aktuellen Komplizenschaft mit den Mächtigen befreien (auch verschämtes Schweigen bedeutet Komplizenschaft!). Es geht um eine „Befreiung der Theologie“. Es ist nicht mehr hinnehmbar, dass seriöse Theologen, die um den heidnisch-griechischen Ursprung der Theologie Ratzingers wissen, nicht dagegen aufstehen.

8. Theologie als TdB ist die Reflexion über eine befreiende Praxis (siehe Genese der Lehre von der Praxis und den Ursprüngen her). Eine „europäische Theologie der Befreiung“ ist daher immer nur eine abgeleitete Theologie und keine authentische Theologie, wenn sie nicht ihren Standort wechselt. Nichts desto weniger wäre sie gerade auch bei uns notwendiger denn je - angesichts einer zunehmenden und systembedingten Verkommerzialisierung bis in die letzten Winkel der menschlichen Seele und des menschlichen Geistes hinein (und dies korrespondiert mit einem Vordringen bis in die letzten Winkel der Erde). Wenn eine Theologie aber keine Grundlage in einer befreienden Praxis hat, kann sie bestenfalls berichten und hat aus sich heraus keine Autorität. So wird z.B. das Gerede über die Frage, warum Jesus getötet wurde, zum hohlem Geschwätz derer, die noch nicht mal die geringste Ahnung davon haben, was es bedeutet, die Gerechtigkeit Gottes inmitten einer zutiefst ungerechten Welt zu verkünden. Sie hätte daher diese Autorität und Glaubwürdigkeit nur als Stimme bzw. im Auftrag der Armen - was immerhin ein erster Schritt wäre.

9. Eine Kirche der Armen bzw. Kirche der Befreiung ist eine wahrhaft katholische, weltweite Kirche, da von allen Armen dieser Welt ausgehend. Deswegen ist sie als Kirche der Armen auch die Voraussetzung für die „Rettung (Heil) der Reichen“. Die Kirche der Armen ist zwar nicht identisch mit der "Einen Kirche Jesu Christi", aber die Kirche der Armen ist authentisch in der Kirche Jesu Christi vertreten ("subsistit in"). Sie steht in der direkten Nachfolge Jesu und zeigt so, wie und was  Kirche (die Gemeinschaft all derer, die an Jesus den Christus glauben) ist. Denn sie geht von den weltweit Ausgegrenzten aus, von denen, die unter die Räuber gefallen sind. Sie stellt die Menschen in den Mittelpunkt, mit denen sich Jesus vorrangig solidarisierte. Deshalb werden die Armen uns, den Reichen, zum Heil, weil sie schon doch ihre bloße Existenz die bestehende Ungerechtigkeit aufdecken und zur Umkehr auffordern und diese ermöglichen.   

10. Die Reichen, inklusive Theologie und Kirche im Kontext der Reichen, werden nicht ausgeschlossen, vielmehr aufgefordert zu HÖREN und in der „Mitte des Monsters“ für weltweite Gerechtigkeit zu kämpfen. Ihre Option ist die Umkehr  (Standortwechsel). Es sind die Menschen, mit denen sich Jesus vorrangig solidarisierte, die uns den Weg zeigen. Und sie wollen und können dies auch, weil Gott mitten unter ihnen Mensch wurde, mit ihnen feierte, trauerte, konsequenterweise getötet und deshalb von Gott auferweckt wurde. Sie sind daher die authentischen Zeugen der Gegenwart Gottes unter den Menschen, seines Leidens, seines Todes und seiner Auferstehung. Sie sind die Offenbarung Gottes heute, ihr Schrei nach Gerechtigkeit ist der Ruf Gottes an uns (siehe "Kirche der Armen"). Dies zu hören und in der gepeinigten Kreatur das Antlitz des Gekreuzigten zu erkennen - das wäre dann wahrhaft christliche Spiritualität.


1. Theologischer Standort (Begriffsklärung) und Grundbegriffe: Theologie und Globalisierung, Methode der Theologie, Theologie der Befreiung.  "Theologie ist bestenfalls der zweite Schritt. Sie ist sekundär und sie hat eine dienende Funktion. An erster Stelle steht der Glaube an den sich offenbarenden Gott. Dieser hat sich Moses offenbart und ist schließlich in Jesus Mensch geworden. Für die Hebräer bedeute dies den Aufbruch aus dem „Sklavenhaus“ und in die Befreiung. Christen knüpfen an diese Erfahrung an und bekennen, dass mit Jesus das Reich Gottes begonnen hat und sich vollenden wird. Das ist die Verkündigung (Botschaft) der Kirche. Die Theologie leistet die notwendigen Hilfsdienste für diese Aufgabe."

2. Die Option für die Armen und ihre Herausforderung an eine reiche Kirche (zum Vergleich: die Option - offizielle Version . "Das Zweite Vatikanische Konzil (ansatzweise) und dann vor allem Medellín 1968 haben wie die Propheten die Armen in den Mittelpunkt gestellt. Dies geschah um der Kirche selbst und um ihrer Botschaft willen. Option für die Armen bedeutet, den Kern der christlichen Botschaft zu erkennen, Jesus nachzufolgen und (besonders für Nicht-Arme) Christus im Armen zu begegnen. Diese Erkenntnis ist ein Akt tiefer Spiritualität und gelebter Praxis."

3. Herausforderung an die deutsche Kirche und Orientierung (als Chance).  "Die Armen haben im Vergleich zu den Reichen einen Standortvorteil, weil ihnen Gott und das Reich Gottes nahe ist. Sie erfahren die Umkehr als Befreiung, während die Reichen Angst davor haben. Wer soll den Reichen von Gott erzählen und sie von ihrer Angst befreien, wenn nicht die Armen, inmitten derer er Mensch wurde? Daher ist für Christen in
den reichen Ländern der Kontakt, der Dialog und eine Wegegemeinschaft mit den Armen lebensnotwendig. Über die Jahrhunderte und Kontinente hinweg gibt es eine unveränderliche Konstante: zuerst das Reich Gottes, zuerst die Armen."

4.  Die Kirche und Theologie von Bambamarca - Grundfunktionen der Kirche der Kirche Jesu Christi. 10 Thesen zur TdB      "Der griechisch-europäische Begriff „Theologie“ trifft nicht das, was die Campesinos meinen. Der Begriff lässt sich nicht in die andine Welt übersetzen, aus zwei Gründen: der griechisch-europäische Gottesbegriff drückt etwas anderes aus, als das, was die Campesinos unter Gott verstehen, erleben und erfahren; zum anderen ist es in den Anden nicht der Logos, von dem her ein Zugang zur Wirklichkeit, die immer auch eine göttliche Wirklichkeit ist, gewonnen werden kann, sondern das Fest, die Riten und vor allem die gelebte Erfahrung innerhalb der Comunidad. Das „Wort Gottes hören“ bedeutet hier, sich seiner Verpflichtung gegenüber der Comunidad, der Natur, dem Kosmos und sich seiner Stellung (Standort) und Verantwortung innerhalb dieses Netzwerkes bewusst zu werden bzw. sie neu und christlich zu interpretieren: ....."

5. Solidarität mit einer Kirche der Armen - Zur Theologie von Jon Sobrino  "Papst Benedikt XVI. nimmt für sich in Anspruch, dass er allein das Konzil authentisch zu interpretieren vermag. Doch die richtige (authentische) Interpretation des Konzils erweist sich in der Praxis als ein mehr an „Fülle des Lebens“, an Gerechtigkeit und an Freiheit besonders für die, denen dies bisher vorenthalten wurde. Aber diese Praxis, inkarniert und ausgehend von den Freuden und Hoffnungen, den Sorgen und Ängsten der Armen, wird von Rom ignoriert bzw. gar bekämpft..."

6. Theologie und Globalisierung - aus der Sicht der Opfer  "Die globalen Spielregeln haben ihre Gültigkeit bis hinein in die kleinsten Einheiten menschlichen Zusammenlebens. Sie dringen nicht nur bis in die entlegensten Orte der Welt vor, sondern auch in die letzten Winkel unserer Seelen und unseres Denkens. Tiefste menschliche Beziehungen werden immer mehr verkommerzialisiert, töten den Dialog und die Wahrheit. Von dieser Totalität her beziehen diese Spielregeln und Werte ihren Wahrheitsanspruch und damit ihre universelle Gültigkeit - ohne scheinbare Alternative. Folgende Zusammenhänge, wie sie sich in Bambamarca von der Basis her begründen lassen und die sich im globalen Maßstab widerspiegeln, lassen sich feststellen:"

7. Hungern nach Gerechtigkeit:  Predigt zur Eröffnung der diözesanen Misereor-Fastenaktion 1987.  "Die Gemeinde Jesu Christi sind aber nicht nur wir, die wir hier versammelt sind. Die Gemeinde Jesu Christi ist die Gemeinschaft aller Menschen, die an Jesus den Christus glauben. Alle Menschen sind zum Tisch des Herrn, zur Hochzeitsfeier geladen. Wir können hier nur Eucharistie feiern, wenn wir das im Namen der gesamten Kirche, der Gemeinschaft aller Gläubigen in aller Welt tun. Wir leben aber in einer Welt, in der 1/8 der Menschheit 7/8 aller irdischen Güter für sich allein verbraucht - ja diese sogar mit Gewalt an sich reißt."

8.  Partnerschaft als Sakrament   Partnerschaft zwischen armen und reichen Gemeinden (Brotteilen mit den Ausgeschlossenen) bedeutet für die reichen Gemeinden, katholische Kirche zu werden... . "Partnerschaften repräsentieren konkret und in der Praxis, die Einheit vom Volk Gottes her. Gelebte Partnerschaft, gemeinsam auf dem Weg sein, Brotteilen und miteinander an dem Mahl teilnehmen dürfen, zu dem Jesus eingeladen hat, ist somit konstitutiv für das Volk Gottes, sie ist das sichtbare Zeichen einer sonst nur abstrakt gedachten (nicht wirklich erlebten) Welt - Kirche: einer Gemeinschaft, in der Arme und Reiche an einem Tisch sitzen und gemeinsam das Brot des Lebens essen. Eine solche Gemeinschaft in Partnerschaft ist das Sakrament einer wahrhaft universellen Kirche: Partnerschaft ist das Sakrament des Volkes Gottes.

9. Die Armen evangelisieren uns   "Das Evangelium ist in einer Umwelt und Gesellschaft entstanden, die unserer „Wohlfahrtsgesellschaft“ noch viel fremder und „weiter“ (Vorderer Orient, Agrargesellschaft etc.) entfernt ist, als die Welt z.B. der Campesinos von Peru und allen Ärmsten dieser Welt. Es stellt sich nicht die Frage der Übertragbarkeit von Glaubenserfahrungen von christlichen Basisgruppen aus unterdrückten Ländern, die ja vergleichbar sind mit den Erfahrungen der Zeitgenossen Jesu und der ersten Christen, sondern es geht um die Frage, ob und wie das Evangelium in dieser Welt (eher der „Ersten Welt“) und in dieser Zeit noch gehört werden kann."

10. Leonardo Herrera:  Wach auf, Campesino! - Ein Glaubenszeugnis aus Bambamarca  „Manchmal habe ich gegrübelt: welcher Grund treibt uns dazu, uns so zu verausgaben, wenn wir immer und immer wieder zu den Kursen der Pfarrei gehen, warum so leiden? Bis nach Cajamarca, sogar nach Lima, während unsere Felder vernachlässigt werden, unsere Familien allein bleiben; das letzte Mal habe ich wieder meine Frau krank angetroffen, zu Bett, die Kinder weinend vor Hunger; die Nachbarn haben ihnen wenigstens etwas zu essen gegeben.  Wie kann man nur so blöd sein, sag, warum?


Eigene (theol.) Entwicklung  -  in Auszügen, von 1970 - 1976, vor Peru)

1. Was ist Entwicklung?  1. öff. Vortrag, Januar 1970, in der Kath. Studentengemeinde der EWH Landau: Entwicklungshilfe für wen? "Was tun? - selbst ein Zeugnis materieller Armut geben und mehr Demut gegenüber den neuen Aufbrüchen in der 3. Welt, d.h. auf das zu hören, was uns die armen Völker sagen wollen und gemeinsam mit ihnen lernen. Ihr Ruf nach Befreiung ist der Ruf Gottes an uns „Satte“. Sich immer mehr bewusst werden, dass das Leben sinnvoller wird, wenn man nicht immer mehr haben will, sondern seine Bereicherung darin sieht, im Mitmenschen den Bruder und die Schwester zu erkennen (statt in ihm einen Konkurrenten, vor dem man Angst hat oder den man „besiegen“ muss).

2. Theologie der Befreiung als neue Theologie?  (1973)  Im SS 1972 hat sich in Frankfurt, St. Georgen, der erste „Studienkreis Theologie der Befreiung“  in Deutschland gebildet, noch vor Erscheinen des Buches „Theologie der Befreiung“ von Gustavo Gutiérrez in deutsch. Hier ein Referat WS 73/74.:  "Die wahre Kirche, die Kirche Jesu Christi, wird in erster Linie von denen repräsentiert, die in dem Erlösungswerk, im Befreiungsgeschehen Christi in der ersten Reihe stehen und dadurch wie er selbst Verfolgung, Ausgrenzung und sogar den Tod erleiden. Verbürgerlichte Christen und Kirchenführer, Stützen und Rechtfertiger eines unmenschlichen Wirtschaftssystems, stehen in ihrer Praxis im Widerspruch zur Botschaft und zum Leben Jesu. Eine solch reiche und angepasste Kirche wie z.B. die deutsche Kirche, ist ein Widerspruch in sich. Sie hat jedes Recht und jede Autorität verloren, sich Kirche Jesu Christi zu nennen. Sie ist in Wahrheit eine „römische Kirche“, die die weltweit herrschende „Pax Romana“ („Amerikana“) rechtfertigt."

3. Predigt in Frankfurt - St. Georgen   Umkehr und Liebe als revolutionäre Praxis in der Nachfolge Jesu Christi (1973)  "Die Straße nach Jerusalem, zu einer gerechteren Gesellschaft, muss völlig anders beschaffen sein. Dieser Weg darf nicht an den Ausgeschlossenen und den Ausgeraubten vorbeiführen, sondern zu ihnen hin....Vielleicht haben sie aber einfach auch keine Zeit, denn sie sind voll mit ihrem Kult und mit ihrem eigenen Seelenheil beschäftigt (Letzteres gilt vielleicht im besonderen Maße für unsere evangelischen Weggefährten). Neue Straßen müssen aber gebaut werden, von uns, weil es sonst niemand gibt, der sie baut und wenn wir sie nicht bauen, wird es bis in Ewigkeit solche Schlamm- und Räuberwege geben. Und, wir wissen es eigentlich gar nicht mehr: wir hätten diese Wegepläne, denn wir nennen uns nach einem gewissen Jesus von Nazareth, dem Christus, der uns den Weg gezeigt hat und der ihn mit uns geht. Diesen Weg zu erkennen und vor allem die Bereitschaft ihn auch zu gehen, wäre echte Spiritualität!"

4. Für eine "barbarische Theologie" (1974) (!) "Eine solche Theologie, die ausgeht von der Welt des Andern in der Peripherie, des „Barbaren“ und von ihm getragen und formuliert wird, wird eine andere Theologie sein als es die europäische Theologie je sein kann und sie wird deshalb auch andere Fragen und Probleme haben. Die Frage wird daher nicht so sehr die sein, wie man in einer mündigen Welt von Gott sprechen soll, sondern vielmehr die: wie soll man Gott als Vater verkünden in einer unmenschlichen Welt? Wie soll man dem Mitmenschen beibringen, dass er ein Kind Gottes ist? Dennoch ist die Theologie der Befreiung keine neue Theologie, sondern die traditionelle Theologie schlechthin. Deshalb ist sie nicht nur eine bloß „südamerikanische Theologie“, sondern sie ist die Theologie, die sich aus dem Zentrum des Evangeliums heraus zum Wort des Anderen in dieser Welt macht. Sie ist die erste Theologie seit 1.000 Jahren, die das Evangelium aus der Sicht und mit den Augen derer liest und deutet, die außerhalb „Jerusalems“ leben und sterben, in Hütten aus Lehm und Stroh. In ihrer Mitte aber ist Gott Mensch geworden und mit ihnen will er eine „neue Erde und einen neuen Himmel“ schaffen. Dennoch, oder gerade deswegen: Die Theologie der armen Völker, eine Theologie der Befreiung, passt Europa nicht in den Kram. Europa verlässt sich zu allererst auf seine univoke Universalität. Europa will nicht hören auf die Stimme des Anderen.